22.12.23

Zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts: Das Mindestmaß an Schuldenabbau wird zum Standard werden!

Die EU-Finanzminister haben sich auf eine gemeinsame Position zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts verständigt. Die Einigung basiert auf dem Reformvorschlag der EU-Kommission. Diese hat vorgeschlagen, die festen Regeln zum Schuldenabbau abzuschaffen. Stattessen sollte ein Schuldenabbaupfad zwischen den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission individuell ausgehandelt werden. Gerade hoch verschuldeten Mitgliedstaaten sollten so mehr Zeit zum Schuldenabbau bekommen. Deutschland sah bei diesem Vorgehen die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten ihre Schulden und Defizite nicht reduzieren, und hat daher ein Mindestmaß an Schulden- und Defizitabbau gefordert. Die nun gefundene Einigung sieht u.a. vor, dass die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission aller vier Jahre (in bestimmten Fällen aller sieben Jahre) einen Schuldenabbaupfad verhandeln. Der Schuldenabbaupfad soll dabei sicherstellen, dass Mitgliedstaaten mit einem Schuldenstand von über 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ihren Schuldenstand jährlich um mindestens ein Prozentpunkt verringern müssen. Für Mitgliedsstaaten mit einem Schuldestand zwischen 90 und 60 Prozent des BIP reicht eine jährliche Reduktion von mindestens 0,5 Prozentpunkten. Zudem wird das Ziel für das strukturelle Defizit auf 1,5 Prozent des BIP festgelegt. Das strukturelle Defizit ist das um konjunkturelle und einmalige Effekte bereinigte Defizit. Mitgliedstaaten, deren strukturelles Defizit 1,5 Prozent überschreiten, müssen ihr strukturelles Primärdefizit jährlich um mindestens 0,4 Prozent des BIP verringern. Das Primärdefizit lässt Zinszahlungen eines Staates unberücksichtigt. Der Defizitabbau kann auf 0,25 Prozentpunkte verringert werden, wenn ein Mitgliedstaat Reformen oder Investitionen vornimmt, die u.a. das Wachstumspotenzial des Staates erhöhen.

Hierzu Fachbereichsleiter Dr. Matthias Kullas:

Das Ringen um ein Mindestmaß an Schulden- und Defizitabbau zeigt, dass viele Mitgliedstaaten nach wie vor nicht daran interessiert sind, die Schulden und Defizite zurückfahren. Daher ist zu erwarten, dass das nun ausgehandelte Mindestmaß an Schulden- und Defizitabbau der neue Standard werden wird. Die Verhandlungen des Schuldenabbaupfads zwischen Mitgliedstaaten und EU-Kommission werden so reine Makulatur. Der Aufwand, eine Schuldentragfähigkeitsanalyse zu erstellen und darauf aufbauend einen Schuldenabbaupfad zu verhandeln, können sich EU-Kommission und Mitgliedstaaten vor diesem Hintergrund sparen.

Letztlich wird es in den Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und EU-Kommission nur noch darum gehen, ob sich das strukturelle Primärdefizit eines Mitgliedstaats um 0,4 oder 0,25 Prozentpunkte pro Jahr verringern muss. Die harten Verhandlungen der nun gefunden Einigung zeigen, wie wichtig es ist, dass Deutschland ein Mindestmaß an Schulden- und Defizitabbau durchgesetzt hat. Denn anderenfalls hätten die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission zu viel Spielraum bekommen.

Dessen ungeachtet ist nicht zu erwarten, dass die EU-Kommission die neuen Regeln strenger durchsetzen wird als bisher. Die Kommission ist schon längst nicht mehr nur Hüterin der Verträge. Vielmehr verfolgt sie zahlreiche Ziele, etwa geopolitische, umweltpolitisch oder soziale. Die Schulden- und Defizitgrenzen des Stabilitäts- und Wachstumsakts stören da allzu oft. Die nun beschlossene Möglichkeit, die Rückführung des Defizits zu verlangsamen, um Investitionen in den Bereichen Umwelt, Digitales und Verteidigung vornehmen zu können, spricht Bände.