19.12.22

Trilog-Einigung zu Emissionshandel, „EU-Klimazoll“ und Klimasozialfonds

Am 18. Dezember 2022 haben das Europäische Parlament und der Rat im Rahmen von Trilog-Verhandlungen eine vorläufige Einigung zur Reform und Erweiterung des Emissionshandels – einschließlich der Einführung eines CO2-Grenzausgleichs (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) und des zeitgleichen Abschmelzens von Freizertifikaten für durch Produktions- und Emissionsverlagerung („Carbon Leakage“) gefährdete Unternehmen – und zum Klimasozialfonds erzielt. Diese Reformen sind Kernstück des „Fit-for-55“-Klimapakets, mit dem die EU ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55% gegenüber 1990 senken will.

Reform des EU-Emissionshandelssystems (EU-EHS I)

Im EU-Emissionshandelssystem für Industrie und Energie (EU-EHS I, s. cepAnalyse 5/2022) wird die Gesamtobergrenze für Emissionen („Cap“) 2024 um 90 Millionen und 2026 um 27 Millionen Zertifikate reduziert. Die jährliche Reduktionsrate des Cap („linearer Reduktionsfaktor“) wird auf 4,3% pro Jahr von 2024 bis 2027 und auf 4,4% von 2028 bis 2030 erhöht. Das führt insgesamt zu einer Emissions­reduzierung bis 2030 in den EU-EHS I-Sektoren um 62% gegenüber 2005.

Die Marktstabilitätsreserve (MSR) wird gestärkt, indem die erhöhte jährliche Zuführungsrate von Zertifikaten (24%) über 2023 hinaus verlängert wird. Der Mechanismus gegen übermäßige Preis­schwankungen wird u.a. durch eine automatische Freigabe von Zertifikaten aus der MSR gestärkt.

Anlagen, die eine kostenlose Zuteilung von Zertifikaten („Freizertifikate“) erhalten, müssen bestimmte Auflagen erfüllen („Konditionalität“), u. a. die Durchführung von Energieaudits und bei bestimmten Anlagen die Aufstellung von Klimaneutralitätsplänen. Übergangsweise können in einigen Mitgliedstaaten zusätzliche Freizer­tifikate für den Fernwärmesektor zur Förderung von Dekarbonisierungsinvestitionen gewährt werden.

Die Kommission soll bis zum 31. Dezember 2026 prüfen, ob kommunale Abfallverbrennungsanlagen ab 2028 in das EU-EHS I einbezogen werden können und ob die Notwendigkeit einer Ausnahmeregelung bis 2031 besteht.

Zeitgleiche Einführung des CBAM und Abschmelzen von Freizertifikaten

Durch die Erhebung einer Art „EU-Klimazoll“ (CBAM) auf bestimmte Waren, die in die EU importiert werden, sollen Wettbewerbsnachteile von europäischen Unternehmen aufgrund klimaschutzbedingter Mehrkosten des EU-EHS I ausgeglichen werden. Dazu müssen in die EU importierende Unternehmen sogenannte „CBAM-Zertifikate“ erwerben, um die Differenz zwischen dem im Produktionsland niedrigeren oder gar nicht anfallenden CO2-Preis und dem Zertifikatspreis im EU-EHS I zu zahlen (s. cepAnalyse 5/2022). Der CBAM soll ab Oktober 2023 – in einer Übergangszeit nur mit der Verpflichtung zur Meldung der benötigten CBAM-Zertifikate – eingeführt werden und umfasst: Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium, Elektrizität und Wasserstoff sowie einige Vorprodukte und eine begrenzte Anzahl nachgelagerter Produkte und indirekter Emissionen.

Um die Regeln der Welt­handelsorganisation (WTO) einzuhalten, wird der CBAM zwischen 2026 und 2034 nur für den Teil der Emissionen gelten, für den keine Freizertifikate im EU-EHS I vergeben werden. Die Freizertifikate werden zu Beginn langsamer und gegen Ende beschleunigt abgebaut („Phase-Out“), und zwar 2026 um 2,5%, 2027 um 5%, 2028 um 10%, 2029 um 22,5%, 2030 um 48,5%, 2031 um 61%, 2032 um 73,5%, 2033 um 86%, 2034 um 100% im Vergleich zu 2025.

Darüber hinaus können Industrieanlagen, die keine Klimaneutralitätspläne vorlegen, schon vor dem Phase-Out bis zu 40% ihrer Freizertifikate verlieren. Die Hälfte der durch diese Konditionalität freiwerdenden Freizertifikate werden an die Mitgliedstaaten zur Versteigerung übertragen, „um das Restrisiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen zu beseitigen“. Die andere Hälfte fließt in den Innovationsfonds, der nun auch die Dekarbonisierung der CBAM-Sektoren verstärkt unterstützen soll.

Bis 2025 muss die Kommission das Carbon-Leakage-Risiko für Exportwaren in Nicht-EU-Länder bewerten und erforderlichenfalls einen WTO-konformen Legislativvorschlag vorlegen, um dieses Risiko zu mindern. Nach Einschätzung des Europäischen Parlaments werden ca. 47,5 Millionen Zertifikate zur Beschaffung neuer und zusätzlicher Finanzmittel verwendet, um das Risiko der exportbedingten Verlagerung von CO2-Emissionen anzugehen.

Erweiterung des EU-EHS I auf den internationalen Seeverkehr

Der internationale Seeverkehr wird in das EU-EHS I einbezogen (s. cepAnalyse 6/2022), cepInput 08/2021). Zertifikatspflichtig sind zunächst CO2-Emissionen von Schiffen mit einer Bruttoraumzahl (BRZ) von mindestens 5000 auf außer­europäischen Fahrten von und zu EU-Häfen zu 50%, auf innereuropäischen Fahrten und am Liegeplatz in der EU zu 100%. Die Schifffahrts­unternehmen müssen 2024 für 40% ihrer Emissionen Zertifikate kaufen, 2025 für 70% und ab 2026 für 100%. Große Offshore-Schiffe (über 5000 BRZ) werden ab 2025 in die MRV-Verordnung über die Überwachung, Berichterstattung und Prüfung von CO2-Emissionen aus dem Seeverkehr und ab 2027 in das EU-EHS I einbezogen. Stückgutfrachter und Offshore-Schiffe mit einer 400-5000 BRZ werden ab 2025 in die MRV-Verordnung aufgenommen, und ihre Einbeziehung in das EU-Emissionshandelssystem wird 2026 überprüft. Emissionen von Methan und Lachgas werden ab 2024 in die MRV-Verordnung und ab 2026 in das EU-EHS I aufgenommen. Die Einnahmen aus 20 Millionen Zertifikaten werden im Innovationsfonds speziell für Dekarbonisierungsmaßnahmen im Schifffahrtssektor reserviert.

Einführung eines EU-Emissionshandelssystems für Gebäude und Verkehr (EU-EHS II)

Ein neues separates Emissionshandelssystem für Brennstoffe für den Straßenverkehr und für Gebäude (EU-EHS II, s. cepAnalyse 6/2022,  cepAnalyse 14/2022) wird 2027 eingeführt. Dabei ist auch das verarbeitende Gewerbe einbezogen. Das EU-EHS II gilt für Händler, die Brennstoffe für betreffende Sektoren liefern. Die dadurch entstehenden höheren Kosten werden somit fossile Brennstoffe verteuern. Mitgliedstaaten können Lieferanten bis Dezember 2030 von der Abgabe von Zertifikaten befreien, wenn diese auf nationaler Ebene einer CO2-Steuer unterliegen, deren Höhe dem Versteige­rungspreis für Zertifikate im EU-EHS II entspricht oder höher ist. Falls die Energiepreise außer­gewöhnlich hoch sind, kann der Start des EU-EHS II bis 2028 verschoben werden, um die Bevölkerung vor übermäßigen Kostenbelastungen zu schützen.

Der lineare Reduktionsfaktor wurde auf 5,1 ab 2024 und 5,38 ab 2028 festgelegt. Damit „das System reibungslos funktioniert“, werden 30% des Auktionsvolumens des ersten Jahres zusätzlich versteigert („Frontloading“). Ein Preisstabilitätsmechanismus soll sicherstellen, dass 20 Millionen zusätzliche Zertifikate freigegeben werden, wenn der Preis für ein Zertifikat im EU-EHS II über 45 Euro steigt.

Klimasozialfonds

Ein Teil der Versteigerungseinnahmen des Emissionshandels wird zur Unterstützung sozial schwacher Haushalte und Kleinstunternehmen durch einen speziellen Klimasozialfonds (s. cepAnalyse 6/2022,  cepAnalyse 14/2022) verwendet. Um Gelder aus dem Fonds nach einem festgelegten Schlüssel zu erhalten, müssen die Mitgliedstaaten – nach Konsultation der lokalen und regionalen Behörden, der Wirtschafts- und Sozialpartner sowie der Zivilgesellschaft – Klimasozialpläne einreichen und von der Kommission genehmigen lassen.

Der Fonds verfolgt zwei Ziele: Erstens soll er direkte Einkommensstützungsmaßnahmen finanzieren, um dem Anstieg der Straßenverkehrs- und Heizölpreise entgegenzuwirken – mit einer Obergrenze von bis zu 37,5% der geschätzten Gesamtkosten der einzelnen nationalen Klimasozialpläne. Zweitens soll er auch langfristige strukturelle Investitionen mitfinanzieren, darunter die Renovierung von Gebäuden, Dekarbonisierungsmaßnahmen und die Integration erneuerbarer Energien in das Energiesystem, den Kauf emissionsfreier und -armer Fahrzeuge, die Ladeinfrastruktur sowie die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gemeinsamer Mobilitätsdienste.

Zu Beginn wird der Fonds durch die Einnahmen aus der Versteigerung von 50 Millionen EU-EHS I-Zertifikaten (schätzungsweise 4 Mrd. Euro) finanziert. Mit Inkrafttreten des EU-EHS II wird er durch die Versteigerung von EU-EHS II-Zertifikaten bis zu einem Betrag von 65 Mrd. Euro finanziert, wobei weitere 25% durch nationale Mittel gedeckt werden (insgesamt ca. 86,7 Mrd. Euro).

Dr. Martin Menner, cep-Experte für EU-Klimapolitik