10.11.22

Nach Musk-Übernahme: Wie die EU Twitter stärker kontrollieren kann

Elon Musks Kauf des Social-Media-Dienstes versinnbildlicht das Problem interdependenter Macht im digitalen Raum. Unsicherheit über seine Pläne und die zukünftige Regulierung von Twitter machen eine strengere Begutachtung des Deals und seiner Folgen durch amerikanische und europäische Behörden erforderlich. Das Centrum für Europäische Politik (cep) fordert daher eine genaue Prüfung, ob Twitter als Gatekeeper einzuordnen ist, eine zeitnahe Überwachung unter dem Digital Services Act sowie eine fusionskontrollrechtliche Neubewertung, die Medienvielfalt und sicherheitspolitische Interessen berücksichtigt, da Musk mit Starlink bereits einen politisch bedeutsamen Kommunikationsdienst besitzt.

Warum Musks Übernahme von Twitter problematisch ist

Nach monatelanger Ungewissheit und einem drohenden Rechtsstreit hat Elon Musk Ende Oktober seinen 44 Milliarden Dollar schweren Kaufvertrag für den Social-Media-Dienst Twitter abgeschlossen. Seitdem kommt es zu ökonomischen, personellen und politischen Tumulten, da zahlreiche Werbetreibende ihre Vereinbarungen mit Twitter aussetzten oder kündigten, während tausende Twitter-Mitarbeiter entlassen wurden und hundertaussend Nutzer aus Protest zum Konkurrenten Mastodon migrierten. Warum Musk ein solches Chaos in Kauf nimmt, oder vielleicht sogar absichtlich inszeniert, ist unter Beobachtern umstritten.

Offiziell begründet Musk die Übernahme mit seinem Ziel, einen weltweiten "digitalen Stadtplatz" mit freier Meinungsäußerung erschaffen zu wollen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass er Twitter auch für die Vermarktung seiner anderen Unternehmen wie Tesla, SpaceX und Neuralink nutzen möchte. Obwohl die Übertragung von Marktmacht in andere Märkte in den USA und Europa wettbewerbsrechtlich untersagt ist, ist es denkbar, dass Musk sein neu erworbenes Wissen über die Funktionsweise der Twitter-Algorithmen zumindest indirekt für nicht-verwandte kommerzielle oder politische Ziele einsetzt. Zudem gibt es Befürchtungen, wonach Musks Plan, mehr Meinungsfreiheit zu gewähren und gleichzeitig tausende Stellen einzusparen, zu einer Zunahme an illegalen Inhalten und gesellschaftlich destabilisierenden Fake News auf der Plattform führen könnte.

Wie kann die Europäische Kommission reagieren?

Das digitalpolitische Regime der Europäischen Union (EU) bietet bislang nicht genutzte Möglichkeiten, um Musks Twitter-Übernahme energischer gegenüberzutreten. Sollte Twitter als sogenannter "Gatekeeper" im Sinne des jüngst in Kraft getretenen Digital Markets Acts (DMA) klassifiziert werden, könnte sich die Kommission zukünftig auf die im DMA enthaltenen Verpflichtungen und Verbote berufen, um etwaige Wettbewerbsprobleme zu verhindern. Im Gegensatz zu Alphabet, Meta and Co fällt Twitter allerdings nicht offensichtlich unter die Definition eines Gatekeepers, weil der soziale Nachrichtendienst die entsprechenden Schwellenwerte in Bezug auf Umsatz und Marktwert in der EU nicht erreicht. Doch der DMA bietet die Möglichkeit, auch Unternehmen unterhalb dieser Schwellenwerte zu regulieren. So kann die Kommission selbst ein nominell kleineres Unternehmen wie Twitter als Gatekeeper einstufen, wenn eine Marktuntersuchung zeigt, dass es die drei relevanten Kriterien - erheblicher Einfluss auf den Binnenmarkt, zentraler Plattformdienst, gefestigte Position - in einem qualitativen Sinn erfüllt. Das cep fordert daher, dass die Kommission eine Einordnung von Twitter als Gatekeeper im Sinne des DMA zeitnah und genau prüft und dabei dessen gefestigte Rolle im politischen Diskurs berücksichtigt. Das wäre zudem eine willkommene Gelegenheit, die bislang nicht ausreichend präzise gefassten qualitativen Kriterien genauer zu definieren. Da sich der DMA noch in der Umsetzungsphase befindet und erst ab Mai 2023 angewendet wird, wäre in der Zwischenzeit an mitgliedstaatliche Lösungen wie eine Anwendung von Paragraph 19a des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zu denken, der analog zum europäischen Gatekeeper-Gedanken Unternehmen mit "überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb" regulieren kann.

Ein weiteres europarechtliches Instrument bietet der Digital Services Act (DSA), der nicht auf Marktmacht, sondern auf Regeln für digitale Inhalte und virtuelles Verhalten abzielt. Eine Einstufung von Twitter als sogenannte "sehr große Online-Plattform" im Sinne des DSA hätte zur Folge, dass der Social-Media-Dienst verbotene Inhalte, schädliche Nachrichten und Fake News weiterhin bekämpfen und zukünftig noch schneller entfernen müsste. Zudem bestände die Verpflichtung, risikobasierte Maßnahmen zu ergreifen und diese von unabhängiger Seite prüfen zu lassen. Allerdings ist fraglich, ob Twitter überhaupt als eine "sehr große Online-Plattform" eingeordnet werden kann, da dies 45 Millionen monatliche Nutzer in der EU erfordert. Während der Verkaufsverhandlungen mit Musk waren Schätzungen des hohen Ausmaßes an Twitter-Bots durch die Medien zirkuliert, wobei verlässliche Zahlen bis heute nicht vorliegen. Auch wenn es erste Berichte gibt, wonach Musk EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton eine Befolgung des DSA zugesichert hat, erschwert die Rolle der Bots die rechtliche Einordnung von Twitters Nutzerzahlen. Das cep fordert, die strengen Verpflichtungen des DSA dennoch konsequent auf Twitter anzuwenden und bei der Überwachung der Risikobewertung darauf zu achten, ob aus Musks Eigentümerschaft anderer, weltweit aktiver Unternehmen zusätzliche Risiken entstehen könnten. Zudem sollte Twitter aufgefordert werden, diese Regeln schon jetzt im Sinne einer freiwilligen Selbstverpflichtung einzuhalten, da der DSA erst ab Januar 2024 in Kraft tritt.

Fusionskontrollrechtliche Bedenken

Wettbewerbsbehörden greifen typischerweise ein, wenn ein marktmächtiges Unternehmen einen Konkurrenten aufkauft oder wenn die Übernahme dem Käufer einen unlauteren Vorteil bringen würde, wobei die Definition des relevanten Marktes eine entscheidende Rolle spielt. Aus dieser traditionellen Perspektive ließe sich argumentieren, dass Tesla und SpaceX nicht mit Twitter konkurrieren und dass es bislang keinerlei Evidenz dafür gibt, dass Musk seine verschiedenen Unternehmungen oder deren Datenschätze explizit verbinden möchte. Im Juni dieses Jahres lief die Wartefrist der US-Kartellbehörde für Musks Übernahme von Twitter entsprechend ohne weiteres Nachhaken ab. Da sowohl Twitter als auch das von SpaceX betriebenen Starlink-System als Kommunikationsdienstleister gewertet werden können, wäre eine fusionskontrollrechtliche Neubewertung denkbar, bei der auf die dominanten Positionen von Twitter und SpaceX in diesem Markt abgehoben würde. So hat beispielsweise ein französisches Gericht erst im April dieses Jahres die Lizenz von SpaceX für das Anbieten von Internetdiensten in Frankreich aus Sorge vor Monopolisierung aufgehoben. Zudem ist es Mitgliedstaaten möglich, in EU-Fusionskontrollverfahren einzugreifen, um "berechtigte Interessen" zu schützen (gemäß Artikel 21 Absatz 4 der EU-Fusionskontrollverordnung), wozu öffentliche Sicherheit und Medienvielfalt explizit gezählt werden. Ein solches berechtigtes Interesse ergibt sich beispielsweise daraus, dass Musk mit Starlink bereits eine der wichtigsten Kommunikationsplattformen der Welt besitzt. Die zentrale sicherheitspolitische Rolle des Starlink-Kommunikationssystems wurde insbesondere in den vergangenen Wochen deutlich, als das ukrainische Militär bei seiner Gegenoffensive auf Musks Satelliten dringend angewiesen war.

Insgesamt ist trotz dieser fusionskontrollrechtlichen Bedenken zu konstatieren, dass der Kauf nun schon abgeschlossen und eine Neubewertung im Sinne einer nachträglichen Fusionskontrolle daher rechtlich und vor allem praktisch nur schwer durchzuführen ist. Das deutsche Kartellrecht ermöglicht es gemäß Paragraph 41 Absatz 3 GWB, schon vollzogene Zusammenschlüsse aufzulösen, wenn die Untersagungsvoraussetzungen - also die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung - erfüllt sind. Die Kommission verfügt über ähnliche Befugnisse. So kann sie beispielsweise geeignete einstweilige Maßnahmen anordnen, um wirksamen Wettbewerb wiederherzustellen, wenn ein Zusammenschluss bereits vollzogen wurde und für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt wird (gemäß Artikel 8 Absatz 5 Buchstabe c der EU-Fusionskontrollverordnung). Eine systematische nachträgliche Kontrolle oder Entflechtung verbundener Unternehmen durch die Kommission findet allerdings gewöhnlicherweise nicht statt. Insbesondere eine Entflechtung wird im EU-Recht bislang nur als allerletzte Möglichkeit wahrgenommen. Eine diesbezügliche Verschärfung wird momentan für das deutsche Kartellrecht im Zuge der Preissteigerungen auf den Strom- und Gasmärkten erwogen. Doch eine analoge grundlegende Neuausrichtung auf EU-Ebene sollte nicht in der schnelllebigen Debatte um Musks Twitter-Übernahme abgehandelt werden, sondern zunächst eine ausführliche Reflektion über ihren konkreten wettbewerbspolitischen Nutzen sowie ihre legislative und administrativ-praktische Umsetzbarkeit nach sich ziehen.

Dr. Anselm Küsters, LL.M.

Fachbereichsleiter Digitalisierung und neue Technologien