23.03.21

Hotels, Gaststätten, Kinos und Sportstudios sollten für Geimpfte geöffnet werden

Sollen wir warten, bis die ganze impfwillige Bevölkerung geimpft ist? Berlin hat Angst vor einer anderen Entscheidung. Die aber ist angebracht. Lüder Gerken fordert den Impfpass für die Freiheit.

Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt die Öffnung von Urlaubshotels, Restaurants, Kinos, Theatern, Sportstudios und ähnlichen Einrichtungen für Corona-Geimpfte ab. Und der Deutsche Ethikrat stellt fest: Nicht-Geimpfte würden es "als ungerecht empfinden", wenn nur Geimpfte ihre Freiheitsrechte wieder in Anspruch nehmen könnten.

Das ist die für Deutschland so typische Neiddebatte. Sollen wir also mit dem Reisen, Öffnen von Gaststätten, Theatern und anderen Stätten warten, bis die gesamte impfwillige Bevölkerung geimpft ist? In der Bundesregierung grassiert die Angst, eine andere Entscheidung zu treffen. Die aber ist angebracht.

Erstens: Nicht die Bürger müssen sich rechtfertigen, wenn sie ihre grundgesetzlichen Freiheitsrechte zurückverlangen, sondern die Regierung, wenn sie ihnen diese weiter vorenthalten will. Freiheitseinschränkungen dürfen immer nur die Ausnahme von der Regel bilden. Sie müssen sehr gut begründet und – Achtung – verhältnismäßig sein. Das ist nicht der Fall bei Bürgern, die die Seuche nicht mehr verbreiten können, weil sie geimpft wurden. Und in der Tat indizieren Studien: Wer geimpft wurde, ist nicht nur selbst geschützt, sondern gefährdet ihnen zufolge auch seine Mitbürger nicht.

Zweitens: Das Gleichheitsgrundrecht des Grundgesetzes besagt nicht nur, dass wesentlich Gleiches gleich zu behandeln ist. Es besagt auch, dass wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Bei Masern ist das selbstverständlich: In den Kindergarten darf gehen, wer gegen Masern geimpft ist; Nicht-Geimpfte dürfen es nicht. Hier spricht niemand von Diskriminierung. Und bei Corona soll etwas anderes gelten?

Drittens: Die ohnehin schon gigantischen volkswirtschaftlichen Schäden können zumindest verringert werden, wenn die erwähnten Einrichtungen für Geimpfte öffnen dürfen. Und Politiker mögen sich bitte nicht anmaßen zu behaupten, dass sich die Öffnung allein für Geimpfte betriebswirtschaftlich nicht lohne. Diese Entscheidung sollten sie nun wirklich den Betreibern überlassen.

Staaten wie Israel zeigen, wie man es macht. Ebenso schnell, wie dort die Regierung drastische Lockdowns verhängte und flächendeckend impfte, stellt sie jetzt durch die Einführung eines elektronischen Impfpasses die Normalität wieder her: Geimpfte dürfen Restaurants und Konzerte und anderes mehr besuchen. In Europa dagegen klemmt es mal wieder. Die Regierungen der Mitgliedstaaten sind zerstrittener denn je. Auf dem jüngsten EU-Gipfel stimmten die Regierungschefs zwar der Schaffung eines elektronischen "Standard-Impfnachweises" zu. Aber nur "für medizinische Zwecke"! Und für die Frage, "unter welchen Umständen" er sonst noch eingesetzt werden könnte, haben sie sich "auf einen späteren Zeitpunkt" vertagt.

In einem mutigen Schritt hat jetzt die Europäische Kommission einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem ein elektroni-scher Impfpass geschaffen werden soll, der allen EU-Bürgern, die geimpft wurden oder von Covid-19 genesen sind, Reisefreiheit in der gesamten EU gewährt. Öffentlich bekundete die Kommission die Hoffnung, dass es diesen EU-Impfpass bereits ab dem 1. Juni geben soll. Hinter vorgehaltener Hand gibt man in Brüssel jedoch zu, dass das Utopie ist. Zu unterschiedlich seien die Haltungen der Mitgliedstaaten.

Negativ-Vorbild ist das europäische elektronische Einreiseformular zur Corona-Kontaktverfolgung. Beschlossen hatte die EU es im Oktober 2020. Zur Zeit läuft ein "Pilotprojekt" mit gerade einmal drei EU-Staaten. Alle anderen wollen erst noch datenschutzrechtliche Bedenken klären und bilaterale Verträge schließen, so dass die Plattform irgendwann mal laufen kann, wenn die Pandemie vorbei ist.

Zu befürchten ist, dass es dem Impfpass ähnlich gehen wird. In der Front der Bremser: die Bundesregierung. Frustriert sind etliche Länder bereits ausgeschert. Österreich, Polen, Estland, Griechenland und Zypern bereiten nationale elektronische Impfpässe vor – ein weiteres Armutszeugnis für den Integrationsgedanken in der EU. Aber es besteht auch ohne EU-Impfpass Hoffnung: Je mehr Menschen geimpft sind, desto mehr Wähler wird es geben, die fordern, dass ihnen ihre Freiheitsrechte zurückgegeben und Einrichtungen für sie geöffnet werden. Die in der Bevölkerung bereits vorhandene Frustration lässt der Bundesregierung keine andere Möglichkeit, als dem nachzugeben – wollen die Regierungsparteien bei den Wahlen nicht abschmieren.