09.06.22

EU-Parlament zerstritten über Emissionshandel, aber für Verbrenner-Aus

Das EU-Parlament fand in seiner Plenarsitzung am 8. Juni 2022 keinen Konsens über die Reform des EU-Emissionshandels und verwies auch die Rechtsetzungsvorhaben zum Klimasozialfonds und CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) zurück an die federführenden Ausschüsse. Damit verzögert sich einerseits der Gesetzgebungsprozess zum "Fit for 55"-Klimapaket, andererseits bietet sich auch die Chance, sich anbahnende Fehlentscheidungen zu korrigieren. Allerdings kann das vom EU-Parlament befürwortete Aus für Verbrennungsmotoren in neuen Pkw und Vans ab 2035 jetzt nur noch von den Mitgliedstaaten im Rat gestoppt werden.

Streit um Emissionshandel, Klimasozialfonds und CBAM

Am Ende des Abstimmungsmarathons im Parlamentsplenum zu Einzelfragen der Reform des EU-Emissionshandelssystems (EU-EHS, s. cepAnalyse 5/2022) zogen Grüne und Sozialdemokraten die Reißleine und verweigerten insgesamt ihre Zustimmung. Ihrer Auffassung nach wurde von der Mehrheit der Abgeordneten durch eine Absenkung des vom Umweltausschuss vorgeschlagenen CO2-Minderungsziels bis 2030 gegenüber 2005 von 67% auf 63% eine ihrer roten Linien überschritten, obwohl diese Mehrheitsentscheidung über die von der EU-Kommission ursprünglich vorgeschlagenen 61% hinausging. Zudem war eine Mehrheit von Konservativen und EU-Skeptikern den Vorschlägen des Industrieausschusses gefolgt, die einmalige Absenkung der Obergrenze für EU-EHS-Zertifikate und damit der maximal zulässigen CO2-Emissionen ("Cap") auf zwei Schritte zu verteilen. Schließlich hatten Konservative und EU-Skeptiker dafür gestimmt, die freie Zuteilung kostenloser EU-EHS-Zertifikate ("Freizertifikate") an energieintensive Unternehmen, die aufgrund hoher Klimaschutzkosten von Produktions- und Emis­sionsverlagerung in Drittstaaten bedroht sind ("Carbon Leakage"), erst 2035 und nicht schon - wie vom Umweltausschuss vorgeschlagen - bereits 2030 auslaufen zu lassen. Da damit auch ein Kompromissvorschlag der Sozialdemokraten für ein Phasing-out der Freizertifikate 2032 gescheitert war, sahen diese ebenso wie die Grünen insgesamt eine unzumutbare "Verwässerung" des "Fit for 55"-Klimapakets durch die Mehrheitsbeschlüsse.

Damit ist vorläufig auch die von der EU-Kommission vorgeschlagene Einführung eines separaten EU-Emissionshandels für den Straßenverkehr und Gebäude (EU-EHS 2; s. cepAnalyse 6/2022; Europe.Table: Standpunkt) im EU-Parlament gescheitert. Da der Klimasozialfonds und der CBAM eng mit der EU-EHS-Reform verknüpft sind, wurden auch diese beiden Dossiers an die Ausschüsse zurückverwiesen. Ziel ist es jetzt, für alle drei Rechtsetzungsvorhaben einen Konsens der europafreundlichen Parlamentsfraktionen zu schmieden. Infolge der Verzögerungen wird eventuell der Rat noch vorher seine Positionen zu den Dossiers festlegen, wodurch das EU-Parlament an Einfluss auf deren Ausgestaltung verlieren könnte.

Ja zum Verbrenner-Aus ab 2035

In einer weiteren Abstimmung hat sich das EU-Parlament mehrheitlich auf eine erneute Verschärfung der CO2-Flottengrenzwerte für Pkw und Vans geeinigt. Wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, können demnach ab 2035 nur noch CO2-freie Fahrzeuge im EU-Binnenmarkt neu zugelassen werden. Alternativanträge zu diesem faktischen Verbrenner-Aus, die für diese Fahrzeuge nur eine Reduktion der CO2-Emissionen von 90% vorgeschrieben hätten, hatten keine Mehrheit gefunden. Damit entfällt ab 2035 auch die Möglichkeit, Fahrzeuge mit alternativen Kraftstoffen neu zuzulassen.

cep-Bewertung

Das cep sieht die Entwicklung im EU-Parlament nicht nur aufgrund der Verzögerung zentraler Gesetzgebungsverfahren der künftigen EU-Klimapolitik sehr kritisch.

  • Effektive CO2-Gesamtreduktion durch Emissionshandel ist maßgeblich

Die Kommission hatte die einzelnen Dossiers ihres "Fit for 55"-Klimapakets so aufeinander abgestimmt, dass sie mit dem EU-Gesamtziel einer CO2-Reduzierung bis 2030 gegenüber 1990 um 55% vereinbar sind. Eine zusätzliche Erhöhung des CO2-Minderungsziels für die EU-EHS-Sektoren über das von der EU-Kommission vorgeschlagene Maß hinaus wäre also unnötig, wenn nicht gleichzeitig durch die vom EU-Parlament erwogene Beschränkung des Anwendungsbereichs des EU-EHS 2 für Straßenverkehr und Gebäude auf gewerbliche Nutzer die dortigen Reduktionsziele de facto abgeschwächt werden würden. Die Annahme vieler EU-Parlamentarier, dass darüber hinaus ein verzögertes Auslaufen der Freizertifikate eine Verwässerung der Klimaschutz­anstrengungen bedeuten würde, ist sachlich schlichtweg falsch. Durch das stetige sinkende Cap werden die Reduktionsziele effektiv erreicht (s. cepAnalyse 5/2022). Dabei ist unerheblich, ob Zertifikate ersteigert werden müssen oder frei zugeteilt werden. Die Anreizwirkung ist dieselbe: Wer Vermeidungskosten unterhalb des Zertifikatspreises hat, dekarbonisiert, die anderen werden bevorzugt Zertifikate nutzen. Werden zu viele Zertifikate nachgefragt, steigt der CO2-Preis, so dass dann wiederum mehr Unternehmen wirtschaftliche Anreize haben, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Für einen effektiven Klimaschutz ist die effektive Cap-Absenkung des EU-EHS maßgeblich. Daher sollte sich das EU-Parlament nicht im Klein-Klein letztlich irrelevanter Details verzetteln, sondern sich schnell auf eine EU-EHS-Reform einschließlich der Einführung des EU-EHS 2 für Straßenverkehr und Gebäude einigen.

  • Klimaschutz erfordert Schutz der EU-Exportindustrie

Durch das geplante Phasing-out der Freizertifikate, die bisher die europäische Wirtschaft vor Carbon Leakage schützen, steigen nur die Belastungen energieintensiver Unternehmen in der EU, die diese Kosten aufgrund der internationalen Konkurrenzsituation nicht an ihre Kunden weitergeben können. Insoweit ist der geplante CBAM kein adäquater Ersatz, da weder der Vorschlag der EU-Kommission noch die Pläne des EU-Parlaments für Exporteure eine Entlastung von Klimaschutzkosten vorsehen. Daher ist diese Fixierung auf eine rasche Abschaffung der Freizertifikate zum einen gefährlich für die europäische Industrie und die dortigen Arbeitsplätze. Wandert die Produktion einschließlich der damit verbundenen CO2-Emissionen in Länder außerhalb der EU mit geringeren Klimaschutzvorgaben ab, ist dies zum anderen auch schädlich für das globale Klima (s. cepStudie Juli 2021). Es bleibt die Hoffnung, dass in den nun anstehenden Neuverhandlungen im Umweltausschuss die Einsicht bei EU-Parlamentariern wächst, dass nur bei einem wirksamen Carbon-Leakage-Schutz das Ambitionsniveau im EU-EHS gesteigert werden kann, ohne Wirtschaft und Klimaschutz zu schaden.

  • Technologieoffenheit statt Verbrenner-Aus

Beim Verbrenner-Aus droht ebenfalls ein industriepolitischer Kahlschlag (s. cepAnalyse 6/2022). Da in Schwellen- und Entwicklungsländern auch noch lange nach 2035 eine Nachfrage nach Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren herrschen wird, werden diese zwar weiterhin außerhalb der EU gebaut werden, aber Arbeitsplätze in der europäischen Automobilindustrie - vor allem in Entwicklungsabteilungen und Zuliefer­betrieben - wegfallen. Auch hier bleibt nur die Hoffnung, dass der Rat dies verhindern wird und zumindest die Tür zur Technologieoffenheit noch einen Spalt offenhält.

Dr. Martin Menner

cep-Experte EU-Klima- und Verkehrspolitik