21.07.20

EU einig bei Corona-Hilfen und Finanzrahmen

Die EU hat sich auf dem zweitlängsten Gipfel ihrer Geschichte auf ein Corona-Hilfspaket und auf den Mehrjährigen Finanzrahmen (das EU-Budget für die Jahre 2021-2027) geeinigt.

Nach tage- und nächtelangen Diskussionen haben die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel eine Einigung bei den Streitfragen Corona-Rettungsfonds, EU-Haushalt und Rechtstaatlichkeit erzielt. Das von der EU-Kommission vorgeschlagene Corona-Rettungspaket soll ein Volumen von 750 Milliarden Euro umfassen. Davon sollen 390 Milliarden Euro - nicht wie zunächst geplant 500 Milliarden Euro - als Zuschüsse ausgezahlt werden. Weitere 360 Milliarden Euro des Fonds sollen als Kredite vergeben werden.

Bisher umfasste der EU-Haushalt rund ein Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Gipfel einigte sich nun darauf, dass er für die drei Jahre von 2021 bis 2023 - für die der Corona-Rettungsfonds geplant ist - auf zwei Prozent des BIP erhöht wird. Die zusätzlichen Mittel dafür sollen aber nicht wie bisher von den Mitgliedsstaaten in den EU-Haushalt eingezahlt werden müssen, sondern durch Kredite in beispiellose Höhe finanziert werden.

In der Frage der Mitsprache der Mitgliedstaaten bei der Mittelvergabe aus dem Corona-Hilfspaket einigten sich die Staats- und Regierungschefs darauf, dass jeder EU-Staat den Europäischen Rat anrufen kann, wenn er die Mittelvergabe für nicht regelkonform hält. Im Rat müsste dann eine qualifizierte Zweidrittelmehrheit die Bedenken teilen. Auch bei EU-Geldern aus dem Haushalt soll im Streitfall (etwa bei Fragen der Rechtstaatlichkeit) eine qualifizierte Zweidrittelmehrheit des Europäischen Rats über die Vergabe entscheiden.

Bert Van Roosebeke, Fachbereichsleiter am Centrum für Europäische Politik Freiburg, erklärt zum Ausgang des Gipfels: "Mit dem Aufbaufonds startet die EU ein Experiment mit offenem Ausgang. Positiv ist vor allem, dass die Europäische Zentralbank entlastet wird. Mangels politischer Einigkeit für gemeinsame fiskalische Hilfemaßnamen musste sie die Zweifel an der Schuldentragfähigkeit mehrerer Euro-Staaten mit einem ausufernden Ankaufprogramm beseitigen.

Entscheidend für den Ausgang des Experiments ist, dass insbesondere die Staaten der Eurozone ihr Wirtschaftswachstum durch Strukturreformen erhöhen. Bisher sind diese Reformen unzureichend gewesen, auch weil die niedrigen Zinsen der EZB den Druck dazu gesenkt haben. Dass nun 390 Mrd. € an Zuschüssen notwendig sind, um Staaten von der Notwendigkeit dieser Reformen zu überzeugen, ist und bleibt erstaunlich; sie sollten ein ureigenes Interesse daran haben.

Lange wurde über die Konditionalität für diese Zuschüsse und Kredite gerungen. Es bleibt abzuwarten, ob die nationalen Reformpläne und die Kontrolle über ihre Einhaltung die Wettbewerbsfähigkeit südeuropäischer Euro-Staaten steigen lässt. Fakt ist: Der Hebel derjenigen Staaten, die auf Reformen drängen, ist begrenzt. Selbst mit Hilfe Deutschlands können die Sparsamen Fünf keine Auszahlungen stoppen.

Vom politischen Willen zu Reformen hängt also ab, ob der Aufbaufonds zu einer Stärkung Europas führt oder ob am Ende nicht doch eine dauerhafte Umverteilung in großem Umfang droht."

Für Stefano Milia, Direktor von cepItalia, bedeutet der in Brüssel erzielte Kompromiss "ein neues Kapitel bei der gemeinsamen Wahrnehmung von finanzieller Verantwortung auf europäischer Ebene. Obwohl das Ergebnis wahrscheinlich kurzfristig zu einer Stärkung der derzeitigen italienischen Regierung führen wird, sollte diese einsehen, dass ihr Problem im Wesentlichen nicht darin besteht, sich finanzielle Ressourcen zu beschaffen, sondern diese auf die effektivste Weise zu investieren. Ich kann nur hoffen, dass die von der Europäischen Kommission festgelegten Prioritäten für die Verwendung der neuen Mittel erheblich dazu beitragen werden, einen Weg für umfassende Reformen und Investitionen zu finden."

Aus Sicht von Julien Thorel, Direktor von cepFrance, ist der vom Gipfel gefundene Kompromiss "eine schwere Geburt in einer Notsituation, nichtsdestotrotz aber ein Erfolg! Den bedürftigen Mitgliedstaaten wurde ein "Recht" auf Hilfe eingeräumt. Diese müssen jetzt aber auch ihre "Pflichten" erfüllen! Die vereinbarte Konditionalität ruft sie zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Mitteln sowie zu wirtschafts- und umweltpolitischen Reformen auf. Wenn dieses Prinzip im Rahmen des Recovery Plans angewendet werden kann, sollte es zukünftig auch effektiv auf weitere Politikbereiche zugunsten einer größeren zwischenstaatlichen Konvergenz erweitert werden."

weiterlesen