27.10.22

Echtzeitüberweisungen: Gamechanger im Zahlungsverkehr oder Herausforderung für die Branche?

Am 26. Oktober 2022 legte die Europäische Kommission eine überarbeitete Fassung der Verordnung für den Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) vor. Die vorgeschlagenen Vorschriften befassen sich mit dem Angebot von Echtzeitüberweisungen im EU-Raum. Mit dem Vorschlag will die Kommission den Zahlungsverkehr in der EU attraktiver und moderner zu machen.

Echtzeitüberweisungen: Was ist das und wie oft werden sie getätigt?

Die Besonderheit von Echtzeitüberweisungen liegt darin, dass der Zahlungsempfänger den Geldbeitrag innerhalb von maximal 10 Sekunden nach der Veranlassung einer Überweisung durch den Zahler erhält. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Transaktion an einem Werk- oder Feiertag erfolgt und zu welcher Uhrzeit. Im Gegensatz dazu benötigen Standardüberweisungen in der Regel einen Werktag, so dass der Empfänger bei einer Überweisung am späten Freitagabend das überwiesene Geld erst am Dienstag auf dem Konto sieht. Der Vorteil von Echtzeitüberweisungen ist, dass die überwiesenen Geldbeträge nicht mehr "in der Luft hängen" und sofort für Konsum und Investitionen zur Verfügung stehen.

Echtzeitüberweisungen stellen eine neue Kategorie von Euro-Überweisungen dar. Der vorliegende Vorschlag wird mittels Einführung spezieller Regeln für Echtzeitüberweisungen die SEPA-Verordnung ändern, die bis jetzt nur Standardüberweisungen und Lastschriften reguliert. Laut Einschätzung der Kommission betrug Anfang 2022 der Anteil der Echtzeitüberweisungen in Euro lediglich 11%. Bei grenzüberschreitenden Überweisungen zwischen zwei Mitgliedstaaten liegt die Quote sogar noch niedriger. Darüber hinaus unterscheidet sich die Lage in den verschiedenen EU-Ländern drastisch: während in Estland Echtzeitüberweisungen bereits üblicher als die Alternativen (67 %) sind, liegen die Quoten in Frankreich und Deutschland nur zwischen 1% und 4%. In Griechenland und der Slowakei sind Echtzeitüberweisungen überhaupt nicht verfügbar. Die Kommission bewertet den Fortschritt der europäischen Zahlungsverkehrsbranche bei der Ausbreitung des Echtzeitservices als nicht ausreichend und schlägt deswegen einschneidende Maßnahmen vor.

Vorgeschlagene Änderungen kurz erklärt

Im Mittelpunkt des Kommissionsvorschlags stehen vier neue Verpflichtungen, die für alle Zahlungsdienstleister bis auf seltene Ausnahmen gelten werden:

Erstens müssen alle Zahlungsdienstleiter in der EU, die Überweisungen in Euro anbieten, künftig ausnahmslos jeden Tag rund um die Uhr Überweisungen in Echtzeit ermöglichen.

Zweitens dürfen die Gebühren für den Echtzeitservice nicht höher sein als die Gebühren für herkömmliche Euro-Überweisungen, die mehrere Tage in Anspruch nehmen.

Drittens müssen Anbieter von Echtzeitüberweisungen einen Sicherheitsmechanismus einführen, der die Übereinstimmung zwischen der IBAN und dem Namen des Zahlungsempfängers automatisch vor der Freischaltung der Transaktion prüft. Werden Abweichungen von Daten festgestellt, soll der Zahler auf Betrugsrisiken hingewiesen werden.

Schließlich müssen Zahlungsdienstleiter täglich kontrollieren, ob sich ihre Kunden in EU-Sanktionslisten befinden. Damit soll erreicht werden, dass Sanktionsvorschriften leichter befolgt werden können und auf solche Konten überwiesene Gelder eingefroren werden können.

Alle obengenannten Regelungen gelten nur für Überweisungen in Euro, nicht aber in andere Landeswährungen.

Was will die Kommission erreichen und was kommt auf die Branche zu?

Die Pflicht zur Einführung von Echtzeitüberweisungen könne die Innovationskraft von Banken und FinTechs im EU-Raum steigern, indem sie moderne technologische Lösungen wie Apps und Online-Tools sowie neue Finanzdienstleistungen und -produkte auf Basis von Echtzeitüberweisungen entwickeln, so die Kommission. Außerdem soll die vorgeschlagene Lösung zur Wettbewerbsfähigkeit und Stärkung des europäischen Marktes beitragen. Momentan dominieren im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr die US-amerikanischen kartenbasierten Zahlungssysteme Mastercard und Visa.

In der Tat können Echtzeitüberweisungen zur bequemen Alternative zur Barzahlung zwischen Privatpersonen werden, wie etwa bei einem Privatverkauf oder beim Aufteilen der Rechnung bei einem Restaurantbesuch. Im B2B-Bereich können Echtzeitüberweisungen einen besseren Überblick über den Cashflow verschaffen. Allerdings wird die Erfüllung der vorgeschlagenen Vorschriften mit wesentlichen Kosten für Zahlungsdienstleister einhergehen. Mindestens ein Drittel der Zahlungsdienstleister in der EU stellt keine Echtzeitüberweisungen in Euro zur Verfügung. Sie müssen nicht nur die hierfür notwendigen Infrastrukturen aufbauen, sondern auch auf mögliche Gewinne durch Transaktionsgebühren für den Echtzeit-Service verzichten. Da die meisten Banken ihre Standardüberweisungen kostenlos anbieten, bedeutet es, dass Echtzeitüberweisungen laut vorgeschlagenen Vorschriften ebenfalls gebührenfrei werden. Alternativ ist denkbar, dass Zahlungsdienstleister als Reaktion auf die neue Regulierung die Gebühren für Standardüberweisungen anheben und dann dieselben Gebühren auch für Echtzeitüberweisungen verlangen können. Es ist zu erwarten, dass Standardüberweisungen mit der Zeit verschwinden könnten. Unvermeidliche Verluste für die Branche sowie der Eingriff in die unternehmerische Freiheit der Zahlungsdienstleister werfen Zweifel über die Verhältnismäßigkeit der Verpflichtungen auf.

Ausblick

Laut dem aktuellen Entwurf müssen Zahlungsdienstleister schon innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung den Empfang von Echtzeitüberweisungen gewährleisten. Sechs Monate später müssen sie das Auslösen von Echtzeitüberweisungen ermöglichen. Das Europäische Parlament und der Rat werden den Kommissionsvorschlag nun prüfen und gegebenenfalls Änderungen am Kommissionsentwurf vornehmen.

Anastasia Kotovskaia, LL.M.

Referentin für Finanzmärkte und Informationstechnologien