13.01.22

CBAM: Europäisches Parlament setzt klimapolitischen Irrweg fort

Die Europäische Kommission will die Industrieunternehmen der EU vor Konkurrenz durch Importe aus Drittstaaten schützen, die geringere Klimaschutzkosten tragen müssen. Dafür soll ein CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) mittels CO2-Abgaben auf bestimmte CO2-intensive Importprodukte (u.a. Eisen, Stahl, Zement) sorgen. Ziel ist es, internationale Wettbewerbsverzerrungen aufgrund hoher Klimaschutzkosten in der EU abzubauen und so eine Verlagerung von Produktion nebst der damit einhergehenden CO2-Emissionen („Carbon Leakage“) zu vermeiden. Das cep hat an den Plänen der Kom­mis­sion u.a. kritisiert, dass sie keinen Schutz der europäischen Exportindustrie vorsehen (s. cepStudie v. 13.07.2021). Die Änderungsvorschläge nach dem Berichtsentwurf des Europäischen Parlaments würden die Problematik noch verschärfen. Um das Problem zu lösen, schlägt das cep als Alternative zu einem unilateralen CBAM der EU einen multilateralen „Carbon-Leakage-sicheren“ Klimaclub vor (s. cepStudie v. 17.11.2021).

Im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems (EU-EHS) erhalten derzeit Unternehmen, die einem Carbon-Leakage-Risiko ausgesetzt sind, Emissionsrechte kostenlos zugeteilt („Freizertifikate“). Da jedoch das EU-EHS sicherstellt, dass die maximal zulässige Gesamtmenge an Zertifikaten begrenzt ist („Cap“) und stetig abgesenkt wird, werden ihre CO2-Emissionen zusammen mit den Emissionen der Unternehmen, die ihre Zertifikate ersteigern müssen, insgesamt effektiv reduziert. Da die Kommission jedoch Freizertifikate kritisch sieht und außerdem von einer künftigen Knappheit an verfügbaren Freizertifikaten ausgeht, will sie die freie Zuteilung schrittweise bis 2035 auslaufen lassen und stattdessen parallel den CBAM als neues Instrument zum Carbon-Leakage-Schutz einführen. Ein Ausgleich der CO2-Kosten für Exporteure mittels Exportrabatten oder anderer Subventionen ist bewusst nicht vorgesehen, um Handelskonflikte sowie die Verletzung von WTO-Recht zu vermeiden.

Nun schlägt der Berichterstatter des federführenden Umweltausschusses des Europäischen Parlamentes (ENVI), Mohammed Chahim, in seinem Berichtsentwurf zum CBAM-Vorschlag der Kommission weitreichende Änderungen vor. So will er den CBAM früher einführen, den Anwendungsbereich auf organische Chemikalien, Wasserstoff und Polymere ausweiten sowie die Zuteilung von Freizertifikaten bereits bis 2028 – also sieben Jahre früher als von der Kommission geplant – auslaufen lassen. Damit werden gegenüber dem Kommissions­vorschlag noch weitergehende Schritte in die falsche Richtung propagiert. Denn mit dem raschen Wegfall von Freizertifikaten für Exporteure ohne einen Ausgleich z.B. durch Exportrabatte wird das Carbon-Leakage-Risiko zum Schaden sowohl der europäischen Industrie als auch des Weltklimas erhöht, statt es – wie von Befürwortern des CBAM behauptet –zu verringern.

Dieser klimapolitische Irrweg beruht auf falschen Prämissen, die auf ein mangelndes Verständnis der Wirkungsweise des EU-EHS und des Welthandels zurückzuführen sind:

Anreiz zur Dekarbonisierung auch bei Freizertifikaten

Die erste Fehlannahme ist, dass es im EU-EHS nur dann Anreize zur Einsparung von CO2-Emissionen („Dekarbonisierung“) gibt, wenn die Unternehmen einen entsprechend hohen CO2-Preis bezahlen. Dies gilt jedoch nur bei einer CO2-Steuer oder CO2-Abgabe, jedoch nicht beim Handel mit Emissionsrechten. Denn selbst wenn diese frei – also kostenlos – zugeteilt werden, bietet ein entsprechend hoher CO2-Preis die Möglich­keit, durch Dekarbonisierungsmaßnahmen nicht mehr benötigte Freizertifikate auf dem Markt zu verkaufen und damit einen Gutteil der Vermeidungskosten zu decken. Dass dies bisher in der Industrie nur in geringem Umfang geschieht, liegt daran, dass die Vermeidungskosten der CO2-Emissionen in vielen Industriesektoren weit höher sind als die Zertifikatspreise. Es ist daher nur kosteneffizient, dass diese Sektoren noch nicht dekarbonisieren, sondern Unternehmen mit geringeren Vermeidungskosten dekarbonisieren und ihre Zertifikate verkaufen. Denn auf diese Weise werden die kostengünstigsten Optionen zur CO2-Reduktion realisiert und zugleich das Cap im EU-EHS eingehalten.

Freizertifikate sind nicht Grund sondern Folge des mangelnden „Pass through“

Die zweite Fehlannahme ist, dass Industrieunternehmen höhere CO2-Preise nicht an die Kunden weitergeben würden („pass through“), weil sie Zertifikate frei zugeteilt bekommen. Im Umkehrschluss wird gefordert, dass die Unternehmen die Zertifikate ersteigern müssen, damit die Kunden das Preissignal der Zertifikatskosten spüren und dann auf CO2-ärmere Produkte umsteigen. Dies ist jedoch eine vollständige Verkehrung der Tatsachen. Industrieunternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, können ihre Produkte nur zum Weltmarktpreis exportieren – sie können als „Preisnehmer“ ihre Zusatzkosten nicht auf den Endpreis aufschlagen – und vergleichbare Güter werden zum Weltmarktpreis importiert. Diese internationale Konkurrenz verhindert, dass höhere CO2-Preise an die Kunden weitergegeben werden können. Unternehmen mit Carbon-Leakage-Risiko erhalten Freizertifikate daher gerade mit dem Ziel, dass sie durch die Zertifikatspreise im EU-EHS keinerlei internationalen Wettbewerbsnachteile erleiden, sondern genauso wie ihre internationale Konkurrenz von CO2-Kosten weitgehend befreit bleiben.

Mangelnder „Pass through“ führt im EU-EHS nicht zu geringerer Emissionsvermeidung

Eine daran anschließende dritte Fehlannahme ist, dass zu wenig CO2 eingespart würde, wenn die Konsumenten kein Preissignal spüren. Denn dies verkennt, dass die von der EU-Industrie produzierten Güter dem Cap des EU-EHS unterliegen, so dass CO2-Emissionen effektiv begrenzt und über die Zeit zuverlässig reduziert werden. Die pauschale Behauptung des Berichterstatters, dass die weitere Zuteilung kostenloser Freizertifikate bis 2036 „nicht im Einklang mit dem Klimaziel der EU für 2030“ stünde (ENVI-Berichtsentwurf, Begrün­dung des Änderungsantrags 5) verkennt diese Wirkung des Cap, das im Einklang mit dem EU-2030-Klimaziel gesenkt wird. Ein an die Konsumenten weitergeleitetes Preissignal könnte höchstens die Effizienz des EU-ETS erhöhen, falls die durch geänderte relative Preise ausgelösten Nachfrageverschiebungen weg von CO2-intensiven hin zu CO2-armen Produkten teure Reduktionsmaßnahmen bei der Produktion CO2-intensiver Produkte zum Teil überflüssig machen würde.

Die Zahl verfügbarer Freizertifikaten sinkt nicht zwingend in Kürze

Eine vierte Fehlannahme ist, dass ein wirksamer Schutz vor Carbon Leakage durch Freizertifikate nicht erreichbar wäre, da ja die zur Verfügung stehende Menge an Freizertifikaten über die Zeit stark absinken würde. Erstens ist es eine politische Entscheidung, dass mindestens 57% der jährlich ausgegebenen Zertifikatsmenge versteigert werden müssen. Aber diese Regelung der ETS-Richtlinie ließe sich mit einem Federstrich streichen und damit die künstliche Verknappung von Freizertifikaten beseitigen. Zweitens steht in Zukunft einem sehr hohen Zertifikatspreis prinzipiell nichts entgegen, sofern die benötigten Freizertifikate bereitgestellt werden und Versteigerungserlöse vorrangig zur Dekarbonisierung der Industrie und zum Ausgleich von Härten verwendet werden. Bei hohen Zertifikatspreisen werden jedoch auch immer mehr Freizertifikate nach Dekarbonisierungsmaßnahmen verkauft und in den Folgejahren nicht mehr genutzt werden. Dies entspannt das Zahlenverhältnis zwischen Freizertifikaten und versteigerten Zertifikaten.

Schutz der EU-Exporteure ist entscheidend

Eine fünfte und entscheidende – aber politisch sehr naive – Fehlannahme ist, dass die europäische Industrie und das Weltklima durch einen CBAM hinreichend vor Carbon Leakage geschützt werden, wenn ein CBAM nur die Importe in die EU betrifft. Das unterschätzt die Bedeutung der Exporte für die europäische Industrie, den Druck des Weltmarkts auf die erzielbaren Preise und die Tatsache, dass viele Produkte in Drittländern mit noch viel höherem CO2-Ausstoß produziert werden und Exporte aus der EU daher zur Verringerung der CO2-Emissionen beitragen würden. Die damit verbundene sechste Prämisse ist, dass ein CO2-Grenzausgleich für Exporteure nicht konform mit WTO-Regeln wäre und daher „zum Schutz des Klimas“ auf einen Schutz der Exporteure verzichtet werden müsse. Dass man dadurch sowohl den Verlust europäischer Wertschöpfung und Beschäftigung als auch den Anstieg der globalen CO2-Emissionen bewusst in Kauf nimmt, sollte allen Entscheidungsträgern bewusst sein und muss der Öffentlichkeit offen kommuniziert werden, statt den CBAM als Mittel zum Schutz der europäischen Industrie anzupreisen.

Alternative: „Carbon-Leakage-sicherer“ Klimaclub

Ein derart exportgefährdender CBAM ist jedoch nicht alternativlos. Denn mit einer Ausweitung der kostenlosen Zuteilung ließe sich ein vollständiger Carbon-Leakage-Schutz sowohl gegenüber Importen als auch für Exporteure erreichen. Aufbauend auf dieser Ausweitung der Freizertifikate könnte die EU sich – unter Verzicht auf die einseitige Einführung eines CBAM – für einen „Carbon-Leakage-sicheren“ Klimaclub einsetzen (cepStudie v. 17.11.2021). Dieser würde beinhalten, dass sich die Clubmitglieder auf einen einheitlichen CO2-Mindestpreis einigen und untereinander auf CO2-Grenzausgleichsmaßnahmen verzichten. Die EU würde den CO2-Mindestpreis durch eine Klimasteuer in entsprechender Höhe garantieren, den die von Carbon Leakage betrof­fenen Unternehmen zahlen müssten und ihren Kunden in der EU und in den Clubmitgliedern in Rechnung stellen würden. Importe aus Clubmitgliedern würden nicht mit der Klimasteuer belastet, jedoch entsprechende Importe aus Drittländern. Damit wären die EU-Unternehmen vor unlauterer Konkurrenz durch Importe aus Drittstaaten geschützt, da beide Seiten die Klimasteuer und sonst keine weiteren Klimakosten bezahlen müssen. Der Schutz der Exporteure in Drittländer resultiert aus dem Erhalt der Freizertifikate und einer Erstattung der Klimasteuer. Exporte in Clubmitglieder treffen dort auf Konkurrenzprodukte, die den Mindestpreis beinhalten. Dass die übrigen Industriesektoren sehr wahrscheinlich einen höheren Zertifikats­preis zu zahlen haben, ist dabei für die Wettbewerbsfähigkeit der von Carbon Leakage gefährdeten Unternehmen unerheblich. Der hohe Zertifikats­preis bietet jedoch die gewünschten Anreize zur Dekarbonisierung der gesamten Industrie. Ob andere Clubmitglieder ihre Importe aus Drittstaaten mit einem CBAM schützen, bleibt ihnen überlassen. Etwaige Export­sub­ventionen im Rahmen eines CBAM für Exporte müssten sich an gemeinsamen Regeln des Klimaclubs halten.

Dr. Martin Menner, cep-Experte EU-Klimapolitik