14.12.21

Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments einigt sich auf Änderungen zum Gesetz über digitale Dienste

Der federführend zuständige Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments (IMCO) hat nach kontroversen Diskussionen die Kompromissvorschläge der Berichterstatter Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) angenommen und zahlreiche Änderungen des Kommissionsvorschlags (siehe dazu cepAnalysen 22, 23 und 24/2021) beschlossen. Das Plenum des EU-Parlaments soll über die endgültige Position des Parlaments auf der Plenarsitzung im Januar abstimmen. Es ist wahrscheinlich, dass Abgeordnete, die mit ihren Änderungsvorschlägen nicht durchdringen konnten, bis dahin noch zahlreiche alternative Änderungsanträge vorlegen werden. Der Rat als Mitgesetzgeber hatte bereits Ende November seinen Standpunkt zum DSA festgelegt.

Unter anderem fordert der Binnenmarktausschuss folgende Änderungen:

  • Personalisierte Werbung, also das zielgerichtete Schalten von Werbung, die auf den jeweiligen Internetnutzer zugeschnitten ist und auf über diesen gesammelten Daten bzw. dessen beobachtetem Surfverhalten beruht, soll für Minderjährige verboten werden. Volljährigen Nutzern darf solche Werbung allerdings weiterhin angezeigt werden, wenn sie in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten dazu eingewilligt haben. Die Kommission hatte in ihrem Vorschlag von den Online-Plattformen lediglich verlangt, Transparenz zu schaffen, dass es sich um Werbung handelt, in wessen Namen sie angezeigt wird, und welche Hauptparameter dazu führen, dass sie gerade ihnen angezeigt wird. Es ist richtig und wichtig, dass der Ausschuss sich nun für ein Verbot personalisierter Werbung für Minderjährige stark macht. Denn die vorgeschlagene verbesserte Erkennbarkeit personalisierter Werbung reicht bei dieser Gruppe nicht aus (siehe cepAnalyse 23/2021).
  • Verbot von Dark patterns: Sogenannte „Dark Patterns“ – Designtechniken, die Nutzer zu unerwünschten Entscheidungen drängen oder verleiten, die für ihn negative Folgen haben, oder die darauf abzielen – sollen verboten werden, und zwar für alle Anbieter von Vermittlungsdiensten, nicht nur für sehr große Online-Plattformen. Anbieter dürften dann z.B. Zustimmungsbuttons nicht mehr optisch stärker hervorheben als den Ablehnungsbutton oder die Kündigung eines Dienstes nicht wesentlich mühsamer gestalten als die Anmeldung zu diesen.
  • Maßnahmen gegen Overblocking: Ferner sollen Anbieter von Vermittlungsdiensten verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass ihre freiwillige Suche nach illegalen Inhalten aus eigener Initiative heraus nicht zu sogenanntem Overblocking führt, also nicht dazu, dass neben illegalen Inhalten (automatisch) auch eigentlich legale Inhalte mitentfernt werden. So sollen sie beispielsweise sicherstellen, dass etwaige von ihnen verwendete Filter zuverlässig sind und eine möglichst geringe Fehlerquote aufweisen. Dies ist sinnvoll, da ein Overblocking legaler Inhalte die Grundrechte und insbesondere die Meinungs- und Informationsfreiheit der Nutzer verletzt.
  • Transparenz für Empfehlungssysteme: Alle Online-Plattformen, nicht nur sehr große Plattformen, sollen Nutzern nach dem Willen der Abgeordneten in ihren AGB verständlich erklären müssen, wie ihre Empfehlungssysteme funktionieren, mit sie den Nutzern automatisiert Informationen vorschlagen oder deren Anzeige priorisieren. Insbesondere sollen sie angeben müssen, auf welchen Hauptparametern die Empfehlungen basieren, welche Ziele das System verfolgt und welche Rolle das Nutzerverhalten für das Empfehlungsergebnis spielt. Sehr große Online-Plattformen müssen es Nutzern zusätzlich ermöglichen, ihre Präferenzen für bestimmte Empfehlungen leicht zu ändern und ein alternatives Empfehlungssystem zu wählen, das nicht auf Profiling basiert, d.h. auf der Erstellung eines persönlichen Profils auf der Basis einer automatisierten Analyse der über sie gesammelten Daten.
  • Meldung illegaler Produkte an Verbraucher: Online-Plattformen sollen Verbraucher  über illegale Produkte und Dienste informieren müssen, die sie über ihre Plattform gekauft haben, sobald ihnen die Illegalität bekannt ist.
  • Ausnahmen für Mittelständler und Non-Profit-Plattformen: Mittelständische Unternehmen und nicht gewinnorientierte Plattformen, die keine nennenswerten systemischen Risiken aufweisen und nur in begrenztem Maße illegalen Inhalten ausgesetzt sind, sollen unter bestimmten Voraussetzungen eine Ausnahme von den speziell für Plattformen geltenden Pflichten beantragen dürfen. Sie wären dann etwa von der Pflicht, ein Beschwerdemanagementsystem einzurichten, und von zahlreichen Transparenzpflichten befreit.
  • Kontaktstelle für Nutzer: Anbieter sollen nicht nur für die Kommunikation mit Behörden und der Kommission eine Kontaktstelle schaffen, sondern auch für Nutzer erreichbar sein. Hierzu sollen sie schnelle, direkte und effektive Kontaktmöglichkeiten bereitstellen, die sich nicht nur auf elektronische Kontaktformulare beschränken.
  • Schadensersatzanspruch für Nutzer: Anbieter sollen zwar nicht grundsätzlich für illegale Inhalte haften, Nutzern aber zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn sie gegen eine DSA-Pflicht verstoßen und Nutzer dadurch unmittelbar einen Schaden erleiden.
  • Keine Löschfristen: Die von Berichterstatterin Schaldemose vorgeschlagenen strikten Löschfristen für illegale Inhalte innerhalb von 24 Stunden fanden bei den Abgeordneten dagegen keine Mehrheit. Konkrete Löschfristen sind damit aber noch nicht endgültig vom Tisch, weil es hierfür auch im Rat Befürworter gibt.
  • Keine Medien-Ausnahme: Auch das vorgeschlagene Verbot für sehr große Online-Plattformen, rechtmäßige Presse- und Medieninhalte wegen einer angeblichen Unvereinbarkeit mit ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen zu entfernen oder zu sperren, konnte sich nicht durchsetzen. Dies ist zu befürworten, da diese sogenannte „Medienausnahme“ trotz ihrer positiven Intention, die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit zu stärken, in der vorgeschlagenen Form Schlupflöcher ermöglichen und Rechtsunsicherheit bringen könnte.
  • Zusätzliche Pflichten für spezielle Plattformen: Die Abgeordneten nahmen noch einen alternativen Kompromissvorschlag an, wonach für Plattformen mit überwiegend nutzergenerierten pornographischen Inhalten besondere Sorgfaltspflichten gelten sollen. Ziel ist es, die Verbreitung von Rachepornos und anderen ungewollten Nacktaufnahmen zu erschweren. Hierzu sollen die genannten Plattformen u.a. eine doppelte Authentifizierung der die Bilder hochladenden Nutzer und schnelle Prüf- und Löschverfahren ermöglichen.

Erst wenn das Plenum im Januar die endgültige Position des EU-Parlaments festgezurrt hat, können die sogenannten Trilog-Verhandlungen beginnen. Angesichts zahlreicher unterschiedlicher Positionen in Rat und Parlament zum DSA, etwa zum Verbot personalisierter Werbung gegenüber Minderjährigen, sind auch im Trilog weitere kontroverse Diskussionen zu erwarten.

Dr. Anja Hoffmann, cep-Expertin für Binnenmarkt und digitale Wirtschaft

Die Pressemitteilung des IMCO-Ausschusses zur Einigung über den DSA finden Sie hier.