13.09.17

PRESSESTATEMENT 76/2017

Plädoyer für mehr europäische Integration

Pressestatement Prof. Lüder Gerken, Vorstand des cep, zur Juncker-Rede vor dem Europäischen Parlament.

Die Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Lage der Union ist ein mutiges Plädoyer für mehr europäische Integration. Gleichzeitig macht sein Appell für die Einhaltung rechtstaatlicher Grundsätze deutlich, wie schwer sich seine Vorschläge umsetzen lassen. Wenn Mitgliedstaaten wie Polen und Ungarn die Autorität des EuGH nicht anerkennen, wie will Juncker dann gewährleisten, dass sich alle an politisch kontroverse Mehrheitsentscheidungen halten? Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit sind nur dann sinnvoll, wenn sich die Mitgliedstaaten an die gemeinsam beschlossenen Regeln halten. Sonst drohen Streit und Gerichtsverfahren wie im Fall des Beschlusses zur Umverteilung der Flüchtlinge. Deshalb lassen sich die von Juncker skizzierten Pläne zur Vertiefung der EU nur in einer Union umsetzen, in der das Recht uneingeschränkte Geltung hat. Solange die Rechtsstaatlichkeit in der EU nicht in allen Mitgliedstaaten gewährleistet ist, steht das gesamte Projekt der europäischen Integration auf tönernen Füßen.

Junckers Versuch, die Attraktivität des Euros für Nicht-Euro-Staaten durch ein „Euro-Beitrittsinstrument“ für technische und finanzielle Hilfen zu erhöhen, lehne ich ab. Denn Mitgliedstaaten, die den Euro nur aufgrund von finanzieller Hilfe einführen, werden auch früher oder später Transfers einfordern, wenn sie einmal im Euro-Raum sind. Auch die Vorschläge, den Wirtschafts- und Währungskommissar zu einem Europäischen Wirtschafts- und Finanzminister zu machen, der eine Eurozonen-Budgetline verwalten soll, sind nicht überzeugend. Wozu braucht es eine Budgetlinie für die Eurozone? Für Strukturreform-Hilfen? Dann werden Eurostaaten nur noch Reformen gegen Hilfsgelder umsetzen. Hier droht Umverteilung. Wird der Europäische Wirtschafts- und Finanzminister auch Chef der Euro-Gruppe, erfährt die EU-Kommission einen deutlichen Machtzuwachs. Ähnliches gilt für den Vorschlag, das Amt des Kommissionspräsidenten mit dem des Präsidenten des Europäischen Rates zu verschmelzen. Allerdings konterkariert letzteres mit der Intention, die die Mitgliedstaaten, also Herren der Verträge, mit der Einführung des Postens eines Ratspräsidenten verfolgten. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass Juncker diese Zusammenlegung vor allem vorschlägt, um sie als Verhandlungspfand bei der Forderung nach einem EU-Wirtschafts- und Finanzminister einzusetzen.

Wird der ESM zum Europäischen Währungsfonds (EWF) „weiterentwickelt“, werden Schuldenschnitte und harte Reformvorgaben deutlich erschwert. Der EWF soll zukünftige Euro-Krisen allein, also ohne den IWF, bewältigen. Damit würden allein die Finanzminister der Euro-Staaten über Finanzhilfen entscheiden. Es besteht die Gefahr, dass politische Rücksichtnahme Schuldenschnitte zu Beginn eines Anpassungsprogramms verhindert. Auch harte Reformauflagen werden dadurch unwahrscheinlicher. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein wirtschaftliches und politisches Schwergewicht, etwa Italien, Finanzhilfen beantragt.

Die Bankenunion mit ihrer gemeinsamen Bankenaufsicht durch die EZB, gemeinsamen Bankenabwicklung und – geplanten ­­– gemeinsamen Einlagensicherung ist ein reines Euro-Zonen-Projekt. Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs als größtem Nicht-Euro-Staat steigen für die Finanzinstitute in Nicht-Euro-Staaten die Nachteile, die mit der Nicht-Teilnahme an der Bankenunion verbunden sind. Das schafft Anreize für diese Staaten, der Bankenunion beizutreten. Diese Lage sollte Juncker aber nicht ausnutzen und diese Staaten faktisch zu einer Einführung des Euros – als Bedingung für eine Teilnahme an der Bankenunion – zwingen. Schon heute können Nicht-Euro-Staaten der Bankenunion betreten, wenn sie die Bankenaufsicht der EZB anerkennen und sich den Regeln des einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus (SRM) unterwerfen.

Bevor eine neue Arbeitsmarktbehörde zur Überwachung der Entsendung von Arbeitnehmern geschaffen wird, sollte zunächst die Wirkung der erst seit 2016 geltenden Durchsetzungsrichtlinie zur Entsenderichtlinie abgewartet werden. Auch hat es wenig Sinn, über den Inhalt der Säule der sozialen Rechte zu diskutieren, solange nicht klar ist, welche rechtliche Wirkung diese in der Zukunft haben wird.

Der Vorschlag zu einer „Task Force Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit“ unter der Leitung von Kommissionsvizepräsident Timmermans ist alter Wein in neuen Schläuchen. Denn deren Aufgaben gehörten auch bisher schon zu den Tasks von Timmermans!