Presseinformation 51/2024

Mission Letters: cep vermisst klare Impulse für mehr Wettbewerbsfähigkeit

Berlin/Freiburg/Paris/Rom. Zwischen dem 4. und 12. November müssen die Kommissionskandidaten vor dem Europäischen Parlament Rede und Antwort stehen. Prüfstein sind die sogenannten Mission Letters, in denen Präsidentin Ursula von der Leyen den neuen Kommissaren Aufgaben und Portfolios bis 2029 zuweist. Das Centrum für Europäische Politik (cep) hat Kandidaten, Ressorts und EU-Initiativen besonders mit Blick auf Binnenmarkt und Wettbewerb unter die Lupe genommen. Ergebnis: Vieles hätte ambitionierter und strukturierter ausfallen müssen.

Binnenmarkt und Wettbewerb

Die Kommission will Hindernisse beseitigen und Bürokratie abbauen, um mehr Wachstum zu schaffen. „Die derzeitigen Berichtspflichten stellen eine übermäßige Belastung für alle Unter-nehmen dar, unabhängig von ihrer Größe oder ihrem Risiko“, sagt cep-Binnenmarktexperte Matthias Kullas. Anstatt Unternehmen unter den Generalverdacht der Missachtung von Vorschriften zu stellen, sollten dort Kontrollen ansetzen, wo Risiken bestehen oder Fehlverhalten vermutet wird. Bei der Neuausrichtung des Wettbewerbsrechts will die Kommission laut Kullas zu viel auf einmal. Sie laufe Gefahr, sich zwischen der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs, der Schaffung europäischer Champions und der Dekarbonisierung der Wirtschaft zu verzetteln.

Digitalpolitik

Die Kommission will Cybersicherheit weiter stärken, den Rückstand in den Bereichen Künstliche Intelligenz (KI) und Cloud-Computing aufholen, Investitionen in digitale Infrastrukturen anregen, die Datenpolitik der EU kohärenter gestalten und den Schutz der Bürger im digitalen Umfeld verbessern. cep-Digitalexpertin Anja Hoffmann stellt klar, dass die EU vor allem rechtliche Unschärfen beseitigen muss, wenn sie den Datenaustausch fördern will. „Sie muss zudem die rechtskonforme Anonymisierung und Nutzung synthetischer Daten fördern, Konflikte mit den wichtigsten Datenschutzgrundsätzen lösen und einen innovationsfreundlichen Umgang mit der Datenschutz-Grundverordnung ermöglichen“, sagt Hoffmann. Im Bereich KI könnten durch den privilegierten Zugang zu Supercomputern für ausgewählte Start-ups Marktverzerrungen entstehen. Hauptkritikpunkt sei, dass die öffentliche Finanzierung von KI-Projekten in der EU weit hinter denen von China oder den USA zurückhinke. „Die Zukunft der europäischen KI liegt nicht in europäischen Champions, einigen wenigen Supercomputern und zentraler Planung, sondern in der Freisetzung ihrer unternehmerischen Energien“, sagt cep-Digitalexperte Anselm Küsters.

Finanzmärkte

In der neuen Legislaturperiode wird es das Hauptziel der Kommission sein, eine Spar- und Investitionsunion zu schaffen, weitere Fortschritte bei der Vollendung der Bankenunion zu erzielen, sicherzustellen, dass der EU-Rahmen für nachhaltige Finanzen benutzerfreundlicher, praktikabler und effizienter wird, den Schutz von Verbrauchern und Kleinanlegern in zunehmend digitalen und KI-gesteuerten Finanzdienstleistungsmärkten zu gewährleisten und den digitalen Euro Wirklichkeit werden zu lassen.
cep-Finanzmarktexperte Philipp Eckhardt misst der Schaffung einer Spar- und Investitionsunion eine zentrale Bedeutung zu. Hindernisse für Investitionen von Privatkunden müssten beseitigt, wettbewerbsverzerrende Provisionsverbote vermieden, Beratungsprozesse gestrafft und die Finanzkompetenz der Bürger gestärkt werden. Zudem sollte die vollständige Überarbeitung des EU-Rahmens für nachhaltige Finanzen Priorität erhalten. Die Notwendigkeit für einen digitalen Euro sieht Eckhardt nicht.

Klima, Energie, Umwelt, Verkehr

Bis 2040 will die Kommission eine rechtsverbindliche Reduzierung der Treibhausgasemissionen um mindestens 90 % im Vergleich zu 1990 vorschlagen. Das Ambitionsniveau des Klimaziels für 2040 wird bestimmen, wie ehrgeizig die jeweiligen EU-Politiken und Rechtsinstrumente für die Zeit nach 2030 sein müssen. „Zwar plant die Kommission, im Rahmen der CO2-Flottengrenzwerte für Pkw mehr Technologieneutralität zu ermöglichen, bei der E-Fuels eine Rolle spielen. Es ist jedoch mehr Flexibilität erforderlich, damit die europäische Automobilindustrie die Ziele erreichen und wettbewerbsfähig sein kann“, sagt cep-Klimaexperte Götz Reichert.

Industriepolitik

Die industrielle Strategie der neuen Kommission beruht auf vier Hauptsäulen: Dekarbonisierung energieintensiver Industrien, Innovation und Förderung der Verbreitung grüner und digitaler Technologien, Sicherung des Zugangs zu kritischen Inputs und Schutz der europäischen Industrien vor externen Risiken. „Um die industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, sollte die Kommission einen kohärenten, investorenorientierten Ansatz wählen. Dazu sollte die Beseitigung unnötiger regulatorischer Belastungen gehören und die Rolle von Preissignalen als Anreiz für langfristige Investitionen in Innovation und Produktion von Transformationstechnologien gestärkt werden“, fordert cep-Ökonom André Wolf.

Migration

Die Migrationspolitik der EU stützt sich auf das neue Migrations- und Asylpakt, eine Reihe neuer Vorschriften, die während der Legislaturperiode umgesetzt werden. Der Pakt konzentriert sich in erster Linie auf die Bekämpfung illegaler Einwanderung und Schleuser, die Stärkung der EU-Außengrenzen und eine strenge Rückführungspolitik für diejenigen, die in der EU keinen Anspruch auf Asyl haben. „Die EU muss aufpassen, dass einige ihrer angestrebten Maßnahmen nicht gerichtsfest sein könnten“, gibt cep-Migrationsexperte Andrea De Petris zu bedenken.