19.05.22

REPowerEU: Energieunabhängigkeit und Energiepreise

Die EU-Kommission hat ihre Pläne konkretisiert, um die EU schnell unabhängig von russischen Energieimporten zu machen und die hohen Energiepreisen abzufedern (REPowerEU, s. cepAdhoc). Hierzu will sie auch die „Fit for 55“-Ziele für erneuerbare Energien und Energiesparen nochmals verschärfen.

Unabhängigkeit von russischem Gas und "Fit for 55"-Ziele

Um die EU langfristig unabhängig von russischen Öl- und Gasimporten zu machen, schlägt die Kommission vor,

•    den Import von Gas zu diversifizieren und durch gemeinsamen Gaseinkauf zu verbilligen,

•    fossile Brennstoffe schneller durch erneuerbare Energien zu ersetzen und

•    mehr Energie zu sparen.

Die EU-Mitgliedstaaten sollen Gas aus anderen Staaten als Russland importieren. Dabei soll der Gaspreis durch den gemeinsamen Gaseinkauf mittels der neu geschaffenen "EU-Energie-Plattform" gesenkt werden.

Um erneuerbare Energien schneller auszubauen, soll das im "Fit-for-55"-Klimapaket vom Juli 2021 vorgeschlagene Ausbauziel eines Erneuerbaren-Anteils von 40% bis 2030 (s. cepAnalyse 1/2022) auf 45% erhöht werden. Zudem sollen nach der neuen "europäische Solardachinitiative" Solaranla-gen auf Dächern ab 2026 für gewerbliche und öffentliche Gebäude sowie ab 2029 auch für neue Wohngebäude verpflichtend werden. Außerdem soll mehr Wasserstoff innerhalb der EU produziert sowie importiert werden (s. cepAnalyse 14/2020; s. cepInput 6/2022). Allgemein sollen für den Ausbau der erneuerbaren Energie Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.

Um Energie zu sparen, soll das im "Fit-for-55"-Klimapaket vorgeschlagene Energiespar-Ziel ("Energieeffizienz") bis 2030 von 9% auf 13% erhöht werden. Hierzu können die Mitgliedstaaten z.B. die Mehrwertsteuer auf die Dämmung von Gebäuden senken.

Die EU stellt für die REPowerEU-Initiative umfassende Finanzmittel zur Verfügung. Allein aus dem Corona-Wiederaufbaufonds sollen 250 Mrd. Euro freigemacht werden. Darüber hinaus sollen Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve des Emissionshandels (EU-EHS 1) versteigert werden, um zusätzlich 20 Mrd. Euro zu mobilisieren.

Hohe Energiepreise

Bereits im Oktober 2021 hat die Kommission den Mitgliedstaaten Optionen aufgezeigt, wie sie im Rahmen des geltenden EU-Rechts die nachteiligen Auswirkungen hoher Energiepreise für finanziell schwächere Verbraucher und Unternehmen abfedern können. Dieser "Werkzeugkasten" umfasste Energiesubventionen und -gutscheine, Steuerermäßigungen und Maßnahmen zur Vermeidung von Energieabschaltungen. Angesichts der seitdem weiter stark steigenden Energiepreise rät die Kommission den Mitgliedstaaten, die Möglichkeiten des Werkzeugkastens auch auszuschöpfen - vor allem temporäre Kompensationszahlungen und direkte Einkommenshilfen.

Gasmarkt

Für Rohstoffhändler am Gasmarkt sollen Liquiditätshilfen zur Verfügung gestellt werden, um Marktstörungen durch Insolvenzen zu verhindern. Mitgliedstaaten soll auch weiterhin erlaubt sein, Endkundenpreise für Haushalte, Gewerbe und industrielle Anlagen zu regulieren. Die Niedrigtarife sollen aber nur bis zur Höhe des Vorjahresverbrauch gelten, um Verbrauchssteigerungen soweit wie möglich zu vermeiden.

Umstritten sind die erwogenen Notfallmaßnahmen bei einer teilweisen oder vollständigen Unterbrechung russischer Gaslieferungen, welche zu ungenügender Gasversorgung und "unzumutbar hohen" Gaspreisen führt. Dazu gehört ein zu entwickelnder EU-weiter Ansatz für eine "erweiterte" Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Um Notlagen in schwerer betroffenen Mitgliedstaaten abzumildern, könnte dies eine Rationierung der Gasversorgung auch in weniger betroffenen Mitgliedstaaten umfassen. Darüber hinaus kann laut Kommission eine EU-Preisobergrenze ("EU price cap") für Erdgas, das an Haushalte und Firmen geliefert wird, notwendig werden. Dieser Eingriff in den Marktpreis soll aber auf die Dauer der EU-weiten Notsituation beschränkt bleiben.

Strommarkt

Vergünstigte Stromtarife für finanziell schwächere Haushalte und Kleinstunternehmen sollen auch auf kleine und mittlere Unternehmen ausgedehnt werden können. Auch hier sollen diese nur bis zur Höhe des Vorjahresverbrauchs gelten.

Um die Stromkosten zu senken, soll es Mitgliedstaaten temporär erlaubt werden, die Brennstoffe der Gaskraftwerke als Grenzkraftwerke zu subventionieren. Grenzkraftwerke sind diejenigen Kraftwerke mit den höchsten Kosten, die zur Deckung der Nachfrage im Strommarkt notwendig sind. Da diese Grenzkraftwerke den Marktpreis bestimmen, sänken durch deren Subventionierung die Stromkosten. Um die Kohärenz mit anderen Strommarktregeln sicherzustellen, müssen die Mitgliedstaaten dazu eine Genehmigung der Kommission einholen.

cep-Bewertung

Im EU-Binnenmarkt sorgen das Marktdesign und die hohe Integration der europäischen Gas- und Strommärkte, die den grenzüberschreitenden Transport und Handel von Gas und Strom ermöglichen, für eine kostengünstige Energieversorgung und hohe Versorgungssicherheit. Laut Kommission werden hierdurch allein im Strommarkt jährlich 34 Mrd. Euro eingespart. Marktpreise geben dazu die entscheidenden Signale für Erzeuger und Abnehmer, um Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen. Insgesamt haben sich Marktdesign und Preismechanismen auch in kritischen Situationen bisher bewährt. Hieran sollte auch in der gegenwärtigen Krisensituation nicht leichtfertig Hand angelegt werden. Vor allem Preisinterventionen sollten möglichst vermieden werden. Zur Entlastung von hohen Energiekosten sind grundsätzlich direkte Einkommenshilfen und Kompensationszahlungen einer staatlichen Preisfestsetzung durch verbilligte regulierte Tarife oder durch eine Preisobergrenze vorzuziehen.

Da es noch nicht in allen Mitgliedstaaten funktionierende Systeme gibt, allen Bürgern ein pauschales Energiegeld auszuzahlen und Unternehmen gezielt zu entlasten, können kurzfristig jedoch zeitlich begrenzte regulierte Tarife für einkommensschwächere Haushalte und kleine bis mittlere Unternehmen Entlastung bringen. Um jedoch so nicht mehr Energieverbrauch auszulösen, sondern Anreize für Energiesparen zu setzen, sollten Tarife allenfalls auf die gerade noch verkraftbare Höhe, mit einer Mengenbegrenzung auf den Vorjahresverbrauch sowie zeitlich begrenzt werden.

Allgemeine Preisobergrenzen sind hingegen im Strommarkt vollständig und im Gasmarkt weitestmöglich zu vermeiden. Im Strommarkt würden sie das komplexe Zusammenspiel von Erzeugung, nationalem Verbrauch und grenzüberschreitenden Stromlieferungen sowie die Versorgungssicherheit aufs Spiel setzen. Im Gasmarkt würden durch die Ankündigung einer Preisobergrenze Anreize zum sparsamen Einsatz von Gas, zur Füllung der Gasspeicher sowie zum Hedging gegen künftig hohe Preise unterminiert. Eine hoheitliche Zuteilung der Gasmengen, die bei einer Preisobergrenze erforderlich wird, würde zu hohen Ineffizienzen führen und kann nur die "ultima ratio" bei extremer Gasknappheit unter Anwendung der EU-Notfallpläne sein. Vielmehr sollte die freie Preisbildung so lange wie möglich aufrechterhalten bleiben. Die Hoffnung mancher Mitgliedstaaten, eine angekündigte künftige Preisobergrenze würde die Märkte beruhigen und jetzt schon zu niedrigeren Preisen führen, ist gefährliches Wunschdenken. Die enormen Nachteile, Kosten und Risiken einer Preisobergrenze überwiegen den vermeintlichen Nutzen durch eine Beruhigung der Märkte um ein Vielfaches. Daher hatte die Kommission sich aus guten Gründen bisher gegen solche Markteingriffe ausgesprochen. Es ist beunruhigend, dass sie - wohl unter großem Druck und mit erkennbaren Bauchschmerzen - nun von ihrer bisherigen klaren Linie abweicht.

Anstatt Gas zu subventionieren, welches derzeit überwiegend als Brennstoff in Grenzkraftwerken benutzt wird, sollte so schnell wie möglich die Gasverstromung überflüssig gemacht werden. Dazu sollten bessere Bedingungen für den rascheren Ausbau erneuerbarer Energien - etwa durch die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die "EU-Solardachinitiative" - geschaffen werden. Solange allerdings erneuerbare Energien nicht im ausreichenden Maße zur Verfügung stehen, sollte im Stromsektor verstärkt Kohlestrom zum Einsatz kommen. Dies gefährdet die europäischen Klimaziele nicht, da der Stromsektor im EU-EHS 1 erfasst ist. Da die Gesamtmenge der CO2-Emissionen, die im EU-EHS 1 ausgestoßen werden dürfen, begrenzt ist, müssen zusätzliche Emissionen durch eine verstärkte Kohleverstromung automatisch an anderer Stelle eingespart werden (s. cepAnalyse 5/2022). Allerdings dürfen hierzu nicht die Klimaziele verwässert und durch Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve die zulässige Gesamtmenge an Emissionen erhöht werden. Der CO2-Preis schwankt seit Dezember 2021 überwiegend stabil um rund 85 Euro. Es gibt keine Veranlassung, das Preissignal künstlich zu schwächen und die Zertifikatsmenge auszudehnen - gerade in einer Zeit, in der fossile Energien verstärkt aus dem Markt gedrängt werden sollen. Im Idealfall kann so die verstärkte Kohleverstromung zumindest zwischenzeitlich Gas im Stromsektor ersetzen und dadurch den Strompreis senken. Selbst wenn der völlige Ersatz nicht gelingt, kann durch den vermehrten Einsatz von erneuerbaren Energien und Kohlestrom die Nachfrage nach Gas im Stromsektor bedeutend gesenkt werden. Somit steht mehr Gas anderen Bereichen zur Verfügung, in denen eine Substitution noch nicht möglich ist.

Dr. Martin Menner und Svenja Schwind

Wissenschaftliche Referenten, Fachbereich Energie | Umwelt | Klima | Verkehr