07.07.23

Metaverse-Strategie der Kommission: Europa droht, die nächste Stufe des Internets zu verpassen

Am Dienstag, den 11. Juli, möchte die Europäische Kommission ihre Initiative zu virtuellen Welten, bekannt unter dem Stichwort Metaverse, vorstellen. Als immersive Umgebung, die auf sogenannten Virtual Reality-Technologien basiert, wird das Metaverse die physische und die digitale Welt in Echtzeit verschmelzen und damit neuartige Geschäftsmodelle ermöglichen.

Einem ersten Leak zufolge betont die EU-Exekutive in ihrer Strategie die Gültigkeit der bestehenden Technologie-Regulatorik für Metaverse-Unternehmen, formuliert Absichtserklärungen zu neuen „Toolboxen“ und internationalen Partnerschaften und plant, die Auswirkungen auf die Gesundheit zu untersuchen. Zudem sollen europäische Arbeitnehmer mehr Metaverse-Kompetenzen erlangen und Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden.

Die nun bekannt gewordenen Pläne enthalten zwar einige gute Ansätze, werden aber in dieser Form nicht ausreichen, um Europa in eine aussichtsreiche Position für die nächste Evolutionsstufe des Internets zu heben. Bisherige europäische Investitionen in eine robuste, effiziente und flächendeckende Metaverse-Infrastruktur und -Forschungsszene liegen weit unter dem Level, das notwendig wäre, um technologische Führerschaft und damit Gestaltungseinfluss zu erlangen. Damit die schon existierenden europäischen Spezialisten für 3D-Modellierung und virtuelle Spiele wachsen können, braucht es zudem mehr Risikokapital und einen Mentalitätswandel weg von industriepolitischer Detailversessenheit und dystopischen Narrativen. Auch wenn aus wettbewerbspolitischer Sicht stark zu begrüßen ist, dass die Kommission offene Standards und Interoperabilität zwischen Plattformen vorantreiben möchte, ist unklar, wie sich europäische Stimmen in den entsprechenden internationalen Foren, die von amerikanischen Big Tech-Unternehmen dominiert werden, einbringen können. Die vorgesehenen Reallabore für virtuelle Welten müssen schnellstmöglich errichtet werden, damit europäische Unternehmen klare und rechtssichere Rahmenbedingungen haben, um innovative Metaversedienste entwickeln zu können.

Die Metaverse-Strategie muss noch stärker auf das Gesundheitswesen ausgerichtet werden. Zwar verweisen die EU-Pläne auf die Entwicklung eines virtuellen Zwillings, der einen menschlichen Körper mit Hilfe von Supercomputern digital nachbilden und Forschern zugänglich gemacht werden soll. Aufgrund des demographischen Wandels und des hohen Anwendungspotenzials des Metaverse für das europäische Gesundheitswesen, das das Centrum für Europäische Politik in einer detaillierten Studie beschreibt, sollte dieses Projekt aber beschleunigt vorangetrieben und um weitere Komponenten ergänzt werden. Bisherige Metaverse-Studien der EU sowie die veranstalteten Bürger-Panels haben etwaige negative Gesundheitsauswirkungen der Technologie betont, wie etwa die durch VR-Brillen entstehenden Schwindelgefühle. Dabei dürfen die zahlreichen neuen Möglichkeiten, die sich aus der Kombination von Daten wie Augenbewegungen, Hirnströme oder Herzsignale ergeben und von Schmerzlinderung bis zu virtueller Beratung sowie „Exergaming“ reichen, nicht vergessen werden, da sie das Leben zahlreicher Patienten signifikant verbessern können.

Gerade weil das Metaverse als integrierte Umgebung zahlreiche Datenarten kombiniert und damit etwas in der Summe qualitativ Neuartiges erzeugt, entstehen Anforderungen für den Datenschutz und die Zugänglichkeit, die aber weder von Nutzern noch durch reinen Wettbewerb hinreichend überprüfbar sind. Daher braucht es dringend externe Institutionen und Spielregeln, die das Zusammenspiel dieser Faktoren holistisch denken – am besten auf internationaler Ebene.

Anselm Küsters, Fachbereichsleiter Digitalisierung und neue Technologien, cep