11.09.23

Luftqualitäts-Richtlinie: Showdown im Europäischen Parlament

Am Mittwoch, 13. September, stimmt das Plenum des Europäischen Parlaments über den mit knapper Mehrheit im Umweltausschuss (ENVI) beschlossenen Bericht zur Neufassung der Luftqualitäts-Richtlinie [s. cepAnalyse 11/2023] ab. Der Umweltausschuss fordert eine vollständige Angleichung der EU-Schadstoffgrenzwerte an die strengsten WHO-Richtwerte. Im Gegensatz dazu wirbt z.B. der EVP-Schattenberichterstatter unter den EU-Abgeordneten dafür, die von der Kommission ursprünglich vorgeschlagenen Grenzwerte leicht abzuschwächen und statt 2030 erst 2035 in Kraft treten zu lassen.

Bei der Plenarabstimmung treffen im Wesentlichen zwei konträre Positionen aufeinander. Auf der einen Seite hat sich der Umweltausschuss mit knapper Mehrheit dafür ausgesprochen, die neuen EU-Schadstoffgrenzwerte ohne Abstriche eins zu eins bereits ab 2030 an die strengsten Luftqualitäts-Richtwerte der Weltgesundheitsorganisation anzugleichen. Diese nicht-bindenden WHO-Empfehlungen stellen ausschließlich auf den Gesundheitsschutz ab. Im Gegensatz dazu basieren die von der Kommission vorgeschlagenen Grenzwerte auf einer umfassenden Güterabwägung, die auch weitere Aspekte – wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Luftreinhaltemaßnahmen, deren technische Machbarkeit und weitere sozio-ökonomische Erwägungen – berücksichtigt. Auch die WHO selbst empfiehlt eine derartige Gesamtabwägung aller für die Festlegung von konkreten Grenzwerten relevanten Gesichtspunkte. Der z.B. von EVP-Schattenberichterstatter Norbert Lins nun vertretene Vorschlag, die neuen Grenzwerte erst ab 2035 gelten zu lassen, berücksichtigt zudem auch den durch die geplanten Klimaschutzmaßnahmen und die absehbare Flottenerneuerung durch sauberere EURO-6/VI-Fahrzeuge verstärkten Trend zu verbesserter Luftqualität.

Vor dem Hintergrund, dass die vom Umweltausschuss geforderten Grenzwerte für einen maximalen Gesundheitsschutz nur mit enormen Vermeidungskosten und Einschränkungen des öffentlichen Lebens – wie weitreichenden Fahrverboten oder zeitweiligen Produktionsbeschränkungen – erreicht werden können, sieht das cep den Kommissionsvorschlag zur Höhe der Grenzwerte als ausgewogen und realitätsnah an. Dagegen hätten die Änderungen des ENVI-Berichts nach Modellrechnungen zur Folge, dass 2030 nur 29% der Messstationen die Grenzwerte für Feinstaub mit einem Durchmesser kleiner als 2,5 μm einhalten würden. Dies würde in weiten Teilen der EU drastische Maßnahmen wie etwa Fahrverbote – wegen des Reifenabriebs auch für E-Fahrzeuge – und Produktionsbeschränkungen erfordern.

Die zumeist bereits beschlossenen Maßnahmen zur Dekarbonisierung von Verkehr und Gebäudeheizung mit ihren positiven Effekten für die Luftqualität werden erst Mitte der 2030er voll zu greifen beginnen. Daher befürwortet das cep, dass die neuen EU-Schadstoffgrenzwerte statt 2030 erst 2035 in Kraft treten sollen.

Damit wäre insgesamt eine realistische Perspektive eröffnet, die Luftqualität weiter deutlich zu verbessern und sie langfristig – z.B. durch neue Vorgaben zum Reifenabrieb – den stärker WHO-Richtwerten anzunähern. Das würde auch einen falschen Alarmismus und Aktionismus vermeiden, der entstehen könnte, wenn unrealistische Grenzwerte und Fristen zu einer flächendeckenden Nichterfüllung führen würden.

Zur Analyse „Luftqualität“: cepAnalyse 11/2023