05.01.16

Strukturierter Dialog statt Eskalation

Statt Sanktionen gegen Polen zu verhängen, sollte die Europäische Union den Rechtsstaatsmechanismus anwenden

Die legislativen Maßnahmen der neuen polnischen Regierung (Einschränkung der Befugnisse des Verfassungsgerichts, Gängelung der öffentlich-rechtlichen Medien) werden immer mehr zu einer europäischen Angelegenheit. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, sprach angesichts der Vorgehensweise der rechtskonservativen Regierung bereits von einem „Staatsstreich“. Auch der Erste Stellvertretende EU-Kommissionspräsident Frans Timmermans hat die polnische Regierung bereits offiziell gerügt. Nun fordert EU-Kommissar Günther Oettinger, den sogenannten EU-Rechtsstaatsmechanismus anzuwenden und Warschau „unter Aufsicht“ zu stellen.

Der Tonfall dieser Forderung mag etwas scharf sein – in der Sache ist sie aber wohl angemessen. Die EU ist nach ihrem Selbstverständnis eine Wertegemeinschaft, die sich vor allem auf die Achtung der Menschenrechte, Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit gründet. Um diese Werte zu schützen, kann die EU gegen einen Mitgliedstaat, der diese Werte schwerwiegend und anhaltend verletzt, Sanktionen verhängen.

Ausdrücklich vorgesehen ist der Entzug des Stimmrechts des betreffenden Mitgliedstaates in den EU-Institutionen, aber auch finanzielle Sanktionen sind denkbar. Im politischen Betrieb gelten solche Sanktionen als ultima ratio, als „Atombombe“. Mehr Eskalation geht nicht.

Die rechtlichen und politischen Hürden für Sanktionen gegen einen Mitgliedstaat sind sehr hoch. Um schon unterhalb dieser Schwelle handeln zu können, wurde 2014 der EU-Rechtsstaatsmechanismus geschaffen. Danach tritt die EU-Kommission mit dem betreffenden Mitgliedstaat in einen strukturierten Dialog, sobald ihr Hinweise für eine systematische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit vorliegen. Ziel des strukturierten Dialogs ist es, die festgestellten Probleme einvernehmlich zu lösen und so die Anwendung von Sanktionen zu verhindern.

Der EU-Rechtsstaatsmechanismus ist bei richtiger Anwendung ein relativ geräuschloses Instrument und ermöglicht damit allen Beteiligten, das Gesicht zu wahren – ein wichtiger Grundsatz im politischen Betrieb der EU. Gerade angesichts der zahlreichen Herausforderungen, mit denen sich die EU derzeit konfrontiert sieht, dürften die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten kaum an einer Eskalation interessiert sein.

Urs Pötzsch, Fachbereich EU-Verträge und EU-Insititutionen, poetzsch(at)cep.eu