11-04-2017

Schluss mit dem Kapazitätswildwuchs!

Die EU-Kommission hat es nun endlich doch gewagt. Sie hat eine „eingehende Prüfung“ zu der in Deutschland eingeführten „Kapazitätsreserve“ eingeleitet. Worum geht es dabei?

Mit der Kapazitätsreserve sollen ab dem Winterhalbjahr 2018/2019 systematisch fossile Kraftwerke vom Markt genommen und nur dann eingesetzt werden, wenn die Stromversorgung in Deutschland gefährdet ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn im Winter mangels Sonne und Wind („Dunkelflaute“) Fotovoltaik- und Windkraftanlagen zu wenig Strom erzeugen. Die Kosten für die Kapazitätsreserve sollen in Ausschreibungen bestimmt werden und sind über die Netzentgelte von den Stromkunden zu tragen. Die Kommission beklagt nun, dass weder klar ist, ob die Kapazitätsreserve überhaupt gebraucht wird, noch ob sie für ausländische Kraftwerke offen steht.

Die Kapazitätsreserve steht damit beispielhaft für den Wildwuchs an Kapazitätsmechanismen und Reserven, die in den letzten Jahren in der EU etabliert wurden. Allein in Deutschland gibt es zusätzlich noch die Netzreserve sowie die Sicherheitsbereitschaft für Braunkohlekraftwerke. Insbesondere bei letzterer kann bezweifelt werden, dass die hierfür anfallenden Kosten von jährlich ca. 230 Millionen Euro gerechtfertigt sind.

Die Kommission hat den Wildwuchs an Fördermechanismen oft und zu Recht kritisiert, denn diese verzerren die Investitionsanreize im Energiesektor, stehen der Entwicklung des Energiebinnenmarkts entgegen und hemmen den Wettbewerb unter den Stromerzeugern. Gleichzeitig hat sie aber die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung von Kapazitätsmechanismen lange Zeit gewähren lassen. Nun hat sie Schwierigkeiten, diese Entwicklung in ökonomisch und rechtlich akzeptable Bahnen zu lenken.

Die beihilferechtliche Überprüfung, die die Kommission – wie jetzt bei der Kapazitätsreserve – im Nachhinein einleiten kann, ist eine Möglichkeit, den bestehenden Wildwuchs wieder einzudämmen. Sie führt jedoch selten dazu, dass einmal eingeführte Fördermechanismen ganz aufgehoben oder zumindest beihilfekonform verändert werden können. Um diese Problematik zukünftig zu vermeiden ist es jetzt wichtig, klare EU-einheitliche Regeln einzuführen, wann und wie Kapazitätsmechanismen nach 2020 eingeführt werden dürfen. Das löst zwar die bereits bestehenden Probleme nicht, kann aber den weiteren Wildwuchs bei den Fördermechanismen zumindest eindämmen.

Die Kommission hat daher richtigerweise Ende November 2016 im Rahmen ihres Vorschlags zur Neufassung der Strommarktverordnung [COM(2016) 861] Bedingungen für die Einführung zukünftiger Kapazitätsmechanismen formuliert. Voraussetzung muss sein, dass ohne diese Mechanismen ein von dem Mitgliedstaat – auf EU-einheitliche Weise – festgelegter „Zuverlässigkeitsstandard“ bei der Stromversorgung nicht erreicht werden kann. Zudem dürfen künftige Kapazitätsmechanismen nicht unnötig den Wettbewerb auf den Strommärkten beeinträchtigen und lediglich Kraftwerken aus dem Inland offen stehen. Insbesondere letzteres schmälert den Fehlanreiz, Kraftwerke zu finanzieren, wenn tatsächlich gar keine Versorgungsengpässe zu befürchten sind.

Verfehlt ist allerdings der Kommissionsvorschlag, dass aus Klimaschutzgründen nur CO2-arme Kraftwerke an Kapazitätsmechanismen teilnehmen können. Dies schränkt lediglich den Wettbewerb unter den Kapazitätsanbietern ein und macht den Mechanismus damit unnötig teuer. Gleichzeitig verpufft die angestrebte Klimaschutzwirkung, weil die fossilen Kraftwerke am Emissionshandel teilnehmen müssen, innerhalb dessen die Gesamtmenge an CO2-Emissionen bereits begrenzt ist. Die Klimaschutzmaßnahme führt also nicht zu einer Absenkung der Gesamtmenge an CO2-Emissionen im Emissionshandelssystem, sondern innerhalb dessen nur zu einer Verlagerung der bei der Stromerzeugung eingesparten CO2-Emissionen hin zu anderen Kraftwerken oder Industriesektoren.

Um den Wildwuchs unter den Kapazitätsmechanismen zu senken, bedarf es also EU-einheitlicher Regeln. Diese dürfen aber auch nicht zu restriktiv sein, um ihrerseits wieder den Wettbewerb unter den Anbietern einzuschränken. Die Kapazitätsmechanismen sollten klar dem Ziel dienen, die Stromversorgung in der EU sicherzustellen. Für den Klimaschutz ist und bleibt der Emissionshandel das richtige Instrument.

Dr. Moritz Bonn, bonn(at)cep.eu