20.01.16

Polen bereit zum Dialog

Wo die Grenze zwischen nationaler Gesetzgebungsautonomie und europäischen Werten verläuft, wird der nun eingeleitete strukturierte Dialog im Rahmen des EU-Rechtsstaatsmechanismus zeigen. Nach der Klärung der Fakten muss eine juristische Bewertung erfolgen. Hierin dürfte die eigentliche Herausforderung liegen.

Mit vielen freundlichen Worten hat sich die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo am Dienstag an das Europäische Parlament gewandt und versucht, die aufgeheizte Debatte der letzen Woche zu beruhigen. Für Polen sei es ein „unschätzbarer Wert“, Teil der EU zu sein. Die Maßnahmen ihrer Regierung bewirkten einen „guten Wandel“ und ständen im Einklang mit der polnischen Verfassung und den europäischen Verträgen. Die polnische Regierung sei bereit, mit der EU einen Dialog zu führen und alle erforderlichen Information zur Verfügung zu stellen. Szydlo wies allerdings auch mehrfach auf die demokratische Legitimation ihrer Regierung und die nationale Souveränität Polens hin.

In der folgenden Debatte betonten zahlreiche Abgeordnete, dass sie die demokratische Legitimation der polnischen Regierung und die Souveränität des Landes überhaupt nicht in Frage stellen wollten. Selbstverständlich habe die Regierung das Recht, Reformen durchzuführen. Dabei müssten aber die gemeinsamen europäischen Werte, wie Gewaltenteilung und die Pluralität der Medien gewahrt bleiben. „Polen kann die Gesetze ändern, aber nicht die Werte“, sagte beispielsweise Esteban Gonzalez Pons von der EVP-Fraktion.

Wo die Grenze zwischen nationaler Gesetzgebungsautonomie und europäischen Werten verläuft, wird der nun eingeleitete strukturierte Dialog im Rahmen des EU-Rechtsstaatsmechanismus zeigen. In einem ersten Schritt müssen die Fakten geklärt werden, damit sich die EU-Kommission ein umfassendes Bild von den bisherigen Maßnahmen der polnischen Regierung machen kann. Nach den Äußerungen von Ministerpräsidentin Szydlo ist Polen hierzu bereit.

In einem zweiten Schritt muss dann eine juristische Bewertung erfolgen. Hierin dürfte die eigentliche Herausforderung liegen. Die mit Experten für Rechtsstaatlichkeit besetzte Venedig-Kommission des Europarats wird in den nächsten Monaten ein juristisches Gutachten zu Polen vorlegen.

Ob die polnische Regierung sich an dieses Gutachten halten werde, wollte Guy Verhofstadt von der ALDE-Fraktion in der gestrigen Debatte wissen. Die Antwort formulierte Ministerpräsidentin Beata Szydlo sehr diplomatisch: Ihre Regierung werde das Gutachten „kritisch prüfen“.

Angesichts solcher Vorbehalte darf man auf den weiteren Fortgang des Verfahrens gespannt sein. Zu begrüßen ist jedenfalls die Bereitschaft der polnischen Ministerpräsidentin, mit dem Europäischen Parlament über die Rechtsstaatlichkeit der Reformen ihrer Regierung zu debattieren. So etwas hat es bisher noch nicht geben. Ein historischer Tag.

Urs Pötzsch, Fachbereich EU-Verträge und EU-Insititutionen, poetzsch(at)cep.eu