20.09.17

Maut oder Vignette?

Bundesregierung gegen EU-Pläne für Vignettenverbot

Es schien so, als hätten die Bundesregierung und die EU-Kommission einen Burgfrieden im Streit um die deutsche „Infrastrukturabgabe“ für Pkw geschlossen. Im Dezember 2016 hatte EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc ihre Bedenken wegen der drohenden Diskriminierung von EU-Ausländern aufgegebenen, nachdem Verkehrsminister Alexander Dobrindt kleinere Änderungen bei der zeitabhängigen Berechnung der Infrastrukturabgabe zugesagt hatte (cepBlog v. 2. Dezember 2016). Erst im Mai 2017 trat das Infrastrukturabgabegesetz in Kraft. Die Ausschreibungen für private Mautbetreiber laufen bereits, und die entsprechenden Verträge sollen eine Laufzeit von 12 Jahren ab dem geplanten Start der Mauterhebung Anfang 2019 haben.

Kurz vor der Bundestagswahl hat sich die Bundesregierung nun gegen die ebenfalls im Mai veröffentlichten Vorschläge der EU-Kommission zur Änderung der Wegekosten-Richtlinie [1999/62/EG] ausgesprochen. Nach den EU-Plänen müssten EU-Mitgliedstaaten bis spätestens Ende 2027 zeitabhängige Straßennutzungsgebühren („Vignetten“), wie die deutsche Infrastrukturabgabe, zugunsten von Abrechnungssystemen abschaffen, die sich nach der gefahrenen Strecke richten („Maut“). Ihre Ablehnung hat die Bundesregierung nun in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion „Die Linke“ betont. Sie fordert, „dass die Mitgliedstaaten weiterhin die Freiheit haben müssen, zu entscheiden, ob sie zeitbezogene oder streckenbezogene Mautsysteme betreiben“. Dies werde sie gegenüber der EU-Kommission auch deutlich vertreten. Auf die Frage der Links-Fraktion, welche Probleme sich ergäben, wenn – wie derzeit geplant – ein Verbot von Vignettensystemen durch die EU vor Ende der zu schließenden Verträge mit privaten Mautbetreibern wirksam wird, und welche Lösungsansätze die Bundesregierung sähe, verwies die Bundesregierung lediglich auf ihre grundsätzliche Ablehnung des Verbots.

Das cep teilt die ablehnende Haltung der Bundesregierung zum Vignettenverbot (s. cepAnalyse 24/2017) – und zwar aus guten Gründen: Die pauschale Abschaffung von Vignettengebühren durch die EU ist nicht damit rechtfertigbar, dass dadurch – wie die EU-Kommission meint – das Nutzerprinzip („wer Straßen nutzt, zahlt“) noch das Verursacherprinzip („wer verschmutzt, zahlt“) zwingend besser verwirklicht werden könnten. Zwar entsprechen in der Tat streckenabhängige Mautgebühren diesen Prinzipien besser, weil Vignettengebühren „Infrastrukturkosten nicht genau widerspiegeln“ und weniger zielgerichtete „Anreize für einen saubereren und effizienteren Verkehrsbetrieb“ geben. Jedoch lösen Mautgebühren gerade deshalb auch in höherem Maße als Vignettengebühren unerwünschte Ausweichverkehre vor allem bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen (Kleintransporten, Vans) aus. Vignettengebühren sind zudem weniger aufwendig und können einfacher datenschutzfreundlich gestaltet werden. Auch lässt sich das Verursacherprinzip noch besser als durch eine Maut durch eine Einbeziehung des Verkehrs in den Emissionshandel oder durch Kraftstoffsteuern gestalten, denn eine Maut hat keinen Einfluss auf die Fahrweise. Zudem könnte eine je nach Schadstoffausstoß (z.B. Stickoxide) gestaffelte Vignette zusätzlich Anreize für die Nutzung schadstoffarmer Fahrzeuge schaffen. Insgesamt sind also die Vor- und Nachteile von Maut- und Vignettengebührenstark von deren konkreten Ausgestaltung abhängig. Daher ist ein pauschales Vignettenverbot abzulehnen. Allerdings wäre es blauäugig, bei dem anstehenden EU-Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Wegekosten-Richtlinie allein auf die deutsche Verhandlungsmacht in der EU zu setzen und sich keine Gedanken über die Konsequenzen zu machen, die eine über das vorgesehene Datum des Vignetten-Verbots gehende Laufzeit der Betreiberverträge hat.

Dr. Martin Menner, menner(at)cep.eu