19.12.19

Fragen und Antworten zur Umverteilungsstudie des cep

Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Brexit und der Diskussion über den künftigen EU-Haushalt kommt der Umverteilung zwischen den EU-Mitgliedstaaten besondere Beachtung zu. Vor diesem Hintergrund hat das cep mit seiner Studie zum zweiten Mal nach 2016 ein umfassendes Bild über die Faktoren und das Ausmaß der Umverteilung zwischen den EU-Mitgliedstaaten erstellt. Im Interview für den Quartalsbrief des cep beantwortet der verantwortliche Autor, Dr. Matthias Kullas, Fragen zur Studie

1. Warum legen Sie jetzt diese Studie vor? Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Ziel der Studie ist es, Transparenz über die politisch induzierte Umverteilung in der EU herzustellen. Hierfür haben wir für die europäischen Institutionen, über die zwischen den EU-Mitgliedstaaten umverteilt werden kann – den EU-Haushalt, die europäischen Finanzhilfeinstitutionen und die Europäische Investitionsbank (EIB) – das jeweilige Ausmaß der Umverteilung berechnet. Umverteilung findet vor allem durch die europäischen Finanzhilfeinstitutionen und den EU-Haushalt statt. Die Umverteilung durch die EIB ist vernachlässigbar.

2. Sie haben ja auch schon 2016 eine Studie zur Umverteilung veröffentlicht. Wo liegen die Unterschiede?

Zum einen im betrachteten Zeitraum. In der aktuellen Studie haben wir die Berechnungen für die Finanzhilfeinstitutionen auf die Umverteilungswirkungen in den Jahren 2008 bis 2017 beschränkt, also keine Schätzungen der potenziellen Wirkungen bis zur Fälligkeit des letzten Finanzhilfekredites 2070 vorgenommen. Dadurch ist es möglich, die Umverteilung durch den EU-Haushalt und die Umverteilung durch die Finanzhilfen zu vergleichen und zu aggregieren. Zum anderen wurde für die Umverteilung durch die EIB nicht nur auf die den einzelnen Mitgliedstaaten zugeflossenen Darlehen abgestellt, sondern auch die daraus resultierenden Zinsvorteile errechnet.

3. Welches Land profitiert am meisten von der Umverteilung in der EU?

Das ist Griechenland. Insgesamt wurde der griechische Haushalt von 2008 bis 2017 um mehr als 114 Mrd. Euro entlastet. Pro Einwohner und Jahr entspricht dies 1.049 Euro. Diese Entlastung ist in erster Linie auf die zinsgünstigen Finanzhilfen zurückzuführen, die Griechenland seit 2010 erhält. Die Zinsvorteile machen fast 65 Milliarden Euro aus. Zudem hat Griechenland in den zehn Jahren knapp 50 Milliarden Euro mehr Geld aus dem EU-Haushalt erhalten, als es selbst eingezahlt hat. Pro Einwohner wurde an Griechenland mehr als doppelt so viel umverteilt wie an Litauen mit 459 Euro und an Portugal mit 441 Euro auf Platz 2 und 3.

4. Deutschland wurde durch die Umverteilung am stärksten belastet. Ist das nicht Wasser auf die Mühlen jener, die Deutschland für den „Zahlmeister der EU“ halten?

Richtig ist: Deutschland wurde im betrachteten Zehnjahreszeitraum mit 137 Milliarden Euro belastet. Mit Abstand folgt an zweiter Stelle Frankreich mit 80 Milliarden Euro. Ein ganz anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die jährliche Belastung pro Kopf der Bevölkerung vergleicht. Dann liegt Deutschland mit einer Belastung von 169 Euro nur an dritter Stelle. Schweden und Niederländer werden mit 178 bzw. 173 stärker belastet. Und auch der Abstand zu Frankreich schrumpft auf 48 Euro pro Jahr und Bürger zusammen. So gesehen ist die Belastung vergleichsweise klein, insbesondere, wenn man sie mit der innerstaatlichen Umverteilung vergleicht. Hinzu kommt, dass die Studie selbstverständlich nur einen Teil der Vor- und Nachteile der europäischen Integration und damit der EU-Mitgliedschaft eines Landes beleuchtet. So kann aus der Tatsache, dass ein Land Nettozahler in den EU-Haushalt ist oder über Finanzhilfen an andere Mitgliedstaaten für dessen Schulden haftet, nicht geschlossen werden, dass die EU-Mitgliedschaft bzw. Euro-Einführung für diesen Mitgliedstaat insgesamt nachteilig sind. Denn hierfür müssten die Vor- und Nachteile der zahlreichen anderen Veränderungen, die mit einer EU- oder Euro-Mitgliedschaft einhergehen, für jeden einzelnen Mitgliedstaat in die Berechnungen einbezogen werden. Dies gilt insbesondere für den Zugang zum Binnenmarkt und für die realwirtschaftlichen Auswirkungen aus der Euro-Einführung.

Sehr interessant ist übrigens auch, dass die größten Belastungen durch die europäischen Finanzhilfen auf private Gläubiger, die Staatsanleihen hielten, entfallen. Sie erlitten einen Schaden von über 43 Milliarden Euro.

5. Sie veröffentlichen diese Studie in einem politisch sensiblen Umfeld. Durch den Brexit fehlt der EU künftig ein Nettozahler, und das zu einem Zeitpunkt wo die EU ihren Finanzrahmen für die kommenden sieben Jahre verhandelt. Hilft da eine solche Studie?

Die Studie zeigt, dass durch den Brexit eine durchschnittliche jährliche Lücke im EU-Haushalt in Höhe von 6,4 Mrd. Euro entsteht. Diese muss nun geschlossen werden. Es gibt erhebliches Einsparpotential, etwa im Agrarbereich und bei den diversen Fonds der EU. Eine Gegenfinanzierung der Einnahmeausfälle durch Einsparung ist jedoch politisch illusorisch. Ich gehe davon aus, dass die Lasten hier zwischen Netto-Empfängern und Netto-Zahlern aufgeteilt werden. Ich hoffe zudem, dass sich der nächste mehrjährige Finanzrahmen in viel größerem Umfang als bisher auf Projekte mit einem echten europäischen Mehrwert fokussiert, also Projekte finanziert, von denen alle oder zumindest viele Mitgliedstaaten profitieren. Hierzu zählt etwa der Aufbau einer effektiven Sicherung der EU-Außengrenzen. Für solche Projekte ist eine Nettobetrachtung nicht mehr sinnvoll. Hierbei müssen aber alle Mitgliedstaaten zustimmen, das wird schwer.

6. Können Sie bitte abschließend noch die Analysemethode beschreiben, die Sie angewendet haben?

Beim EU-Haushalt haben wir analysiert, wie viel Geld jeder Mitgliedstaat in den EU-Haushalt einzahlt und wie viel er herausbekommt. Wenn ein Mitgliedstaat per Saldo mehr Geld aus dem EU-Haushalt erhält, als er an die EU leistet, kommt es zu einer Umverteilung zugunsten dieses Staates. Im anderen Fall wird er belastet.

Bei den Finanzhilfen haben wir die Entlastung berechnet, indem wir die Zinssätze, die die Krisenstaaten für die Finanzhilfen zahlen müssen, mit den Marktzinsen verglichen haben, die sie hätten zahlen müssen, wenn es keine Finanzhilfe gegeben hätte. Umgekehrt werden die Mitgliedstaaten, die für die Finanzhilfen bürgen, belastet, da die politisch festgelegten Zinssätze die Ausfallrisiken nicht adäquat bepreisen. Bei der Bepreisung des Ausfallrisikos wurde berücksichtigt, dass die Finanzhilfen – mit Ausnahme der EFSF – de jure oder zumindest de facto bevorrechtigten Gläubigerstatus haben.

Zur Berechnung der Umverteilung durch die EIB haben wir zunächst bestimmt, ob ein Mitgliedstaat mehr oder weniger EIB-Darlehen erhalten hat, als es seinem EIB-Kapitalanteil entspricht. Sofern die EIB-Darlehen günstiger sind als die der nationalen Förderbank, profitieren die Mitgliedstaaten, die mehr EIB-Darlehen erhalten haben, als ihr EIB-Kapitalanteil beträgt, während Mitgliedstaaten, die weniger EIB-Darlehen erhalten haben, als ihr EIB-Kapitalanteil beträgt, sich Zinsvorteile entgehen ließen.